Die Alte Mälzerei in Berlin Lichtenrade
ff-Architekten (Foto: Andreas Meichsner)
Bestand als Ressource – Wie lässt sich das Bauen im Bestand in die Lehre integrieren und wie werden wir in der Zukunft damit umgehen?

Ein Gespräch mit:
Prof. Katharina Feldhusen (KF)
Prof. Andreas Schüring (AS)

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Welche Potenziale sehen Sie in der Weiter- beziehungsweise Umnutzung von Gebäuden, in Bezug auf den Erhalt von grauer Energie?

KF

Das ist zur Zeit das Hauptthema. Nachhaltigkeit schwebt über allem. Gebäude abzureißen bedeutet, gebundene Energie zu vernichten und gleichzeitig Abfall zu erzeugen, der meist nicht gut recyclebar ist. Jahrzehnte war das gängige Praxis. Vielleicht hatten wir verlernt zu sehen, was im Bestand auf der substanziellen Ebene steckt. Das hat sich maßgeblich verändert: Heute wird respektiert, dass neben den monetären Aspekten auch der ökologische Fußabdruck einer Maß­nahme bewertet werden muss. Ich finde, dass es eine Selbstverständlichkeit sein sollte zu prüfen, ob ein Bestandsgebäude erhalten werden kann. Davon abgesehen ist das Bauen im Bestand eine große Chance. Wir beschäftigen uns in unserem Architekturbüro bei allen Bauvorhaben mit dem Bestand. Diesen Schwerpunkt haben wir uns nicht gesucht, es ergab sich. Je länger wir uns damit befassen, desto spannender wird es.

AS

Es ist oft herausfordernd, im Vorfeld die Risiken und Potenziale aus dem Bestand abzuleiten. Es ist alles hinter verschiedensten Schichten versteckt. Es gibt Gipskartonflächen, Dämmschichten etc. Was sich hinter dem Haus letzten Endes verbirgt, sieht man häufig gar nicht mehr. Früher hat man den Ziegel gesehen oder den Natur­stein. Man sah die Wandstärke und hat das von vorne bis hinten direkt durchdringen können. Aktuell erweitern wir ein ehemaliges Kasernenhaus, welches sich beim Entkernen nochmal anders zeigt und viel besser ist, als es zuvor erkennbar war. Ich bin vom Schlechten ausgegangen, wurde aber vom Positiven überrascht. Es ist spannend, dass sich in dem Haus immer mehr Ziegelsteine zeigen, die einfach viel graue Energie bündeln, wo man jetzt überlegt wie man damit weiterarbeitet. Das ist das Wesen des Bestandes. Es ist schwierig, nervenaufreibend und schlecht zu kalkulieren, kann sich aber lohnen. Leider wird deswegen häufig lieber der Bestand komplett abgerissen und neu gebaut.

KF

Welche Gebäude werden denn heute saniert? Fünfziger, sechziger, siebziger Jahre, jetzt achtziger. In diesen Jahren wurden viele Baustoffe verbaut, die zwar auch graue Energie binden, aber trotzdem rückgebaut werden müssen. Was bleiben kann, ist zumeist der Rohbau, insbesondere Stahlbeton. Dieser bindet viel graue Energie, ist sehr leistungsfähig und oft auch noch in einem ganz guten Zustand. Das sind gute Gründe, diesen zu erhalten. Vieles andere muss raus, die Schadstoffbelastung von Ausbaumaterialien ist häufig hoch. Aber natürlich gibt es auch Wiederverwertbares, vorgehängte Fassadenelemente oder anderes, woraus man etwas Neues machen kann.

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Gibt es Ihrer Meinung nach ein Gebäudealter, wo es ökologisch und auch ökonomisch keinen Sinn gibt zu sanieren, umzubauen, anzubauen?

AS

Es gab Zeiten, wo besonders viel und schnell gebaut wurde. Da erkennt man beim Blick in den Bestand, dass die Qualität nicht so gut war. Dort gibt es Dämmungen, Asbest und andere Beschichtungen. Oft ist alles dann miteinander verwoben. Es ist schwierig, wenn das alles so ineinandergreift und man diese einzelnen Schichten nicht mehr trennen kann.

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Welche Chancen und Risiken sehen Sie beim Recycling von Bausubstanz in Bezug auf die angesprochenen Schadstoffe?

AS

Es gibt manche Geheimnisse, die man vielleicht nicht bergen sollte. Wenn sie im Bau gebunden sind, sind sie erstmal an Ort und Stelle fixiert. Vielleicht können die nicht nach außen treten und man könnte andere Maßnahmen treffen, um dieses Problem einzugrenzen. Bei fast allen Gebäuden gibt es solche Stellen, die im Grunde gar nicht auffallen und man kann damit leben. Niemand kann zu 100 Prozent in den Bestand hineingucken.

KF

Das ist richtig. Jedes Gebäude ist ein Einzelfall. Und ich bin auch nicht der Auffassung, dass jedes Gebäude erhalten werden muss. Wenn man nur auf die Substanz schaut, dann würde es bedeuten, so viel wie möglich zu erhalten. Aber die Sub­stanz ist nicht das einzige Kriterium.

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Mit welchen Problemen wird man in der Baukonstruktion konfrontiert, wenn man im Bestand baut?

AS

Es gibt aufbauende Arten der Planung, die Entwurfsplanung, die Genehmigungsplanung und die Ausführungsplanung. Auf der Baustelle wird dann manches trotzdem etwas anders gebaut. Wenn man sich die alten Ausführungspläne ansieht, startet man so, dass man sich erstmal darauf verlässt. Dann öffnet man die Wand und sieht die tatsächliche Konstruktion. Vor Ort ist die dann vielleicht anders als in den Plänen. Das sieht man aber erst, wenn man mit dem Rückbau angefangen hat. Das ist das, was so reizvoll ist beim Bauen im Bestand, man muss geistig flexibel sein, auch bei der Konstruktion. Man muss bereit dazu sein, vieles über Bord zu wer­fen und neu zu denken. Der Fortschritt der Baukonstruktion ist auch interessant. Vor sich hat man vielleicht ganz selbstverständliche, gut durchdachte Konstruk­tionen aus einer bestimmten Zeit wie aus dem Lehrbuch. Dem auf die Spur zu kommen, ist ein großer Reiz für uns Architekten – aber auch eine Herausforderung. Auf der anderen Seite gibt es auch das große Problem des Handwerks, das sich weiterentwickelt hat, aber dafür oft die alten Techniken nicht mehr beherrscht. In Europa ist dieses individuelle Handwerk unbezahlbar geworden und industriell hergestellte serielle Elemente traten an diese Stelle. Mit der Industrie 4.0, mit der man wieder individuelle Produkte und Bauteile herstellen kann, könnte man dort wieder anknüpfen. Durch diese neuen Techniken und schwellenlosen Schnittstellen zur Industrie können in Zukunft passgenaue Lösungen gefunden werden, auch im Altbestand. Dies wird zu einem großen Umbruch in der Architektur führen.

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Wie kann man ein Gebäude von früher an die heutigen Anforderungen anpassen?

KF

Wir haben heute bei den meisten Gebäuden die Anforderung, dass wir energetisch sanieren müssen. Es gibt Gebäude mit traumhaft schönen Fassaden, zum Beispiel aus den Sechzigern, die aber in energetischer Hinsicht nichts können. Wenn so ein Gebäude nicht unter Denkmalschutz steht, müssen im Zuge einer Sanierung die gesetzlichen Anforderungen an den Wärmeschutz voll erfüllt werden. Tatsächlich bietet der Denkmalschutz hier einen kleinen Ausweg, aber gleichzeitig muss man sich fragen, ob man das tatsächlich will. Und man muss nach Lösungen suchen, die dem Bestand gerecht werden. Weitere Anforderungen bestehen bei Sanierungen in der Integration der technischen Gebäudeausrüstung und natürlich beim Brandschutz, insbesondere bei Nutzungsänderungen. Zu vielen Fragestellungen müssen komplexe Details entwickelt werden, die vielfältige Anforderungen inte­grieren und gleichzeitig einem architektonischen Konzept verpflichtet sind, das ist wesentlich.

AS

Es gibt unheimlich viele Anforderungen. Als Architekt*in fühlt man sich manchmal wie ein Tellerjongleur, um alle gegensätzlichen Herausforderungen unter einen Hut zu bringen. Dann gibt es plötzlich eine neue Gesetzeslage und man steht wieder da und ist verunsichert. Man muss versuchen, permanent am Ball zu bleiben. Trotzdem lässt man sich auf dieses waghalsige Manöver des Bauens ein. Gerade im Bestand muss man dann vielleicht auch dreimal um die Ecke denken, um die F90-Decke zu umgehen. Man versucht vieles aus der Gesetzgebung erstmal zu hinterfragen, um eine andere, passgenaue Lösung zu finden.

KF

Das ist ja das Gute. Es gibt Spielräume, gerade beim Brandschutz. Und es gibt auch technischen Fortschritt, bessere Lösungen: z.B. können anstelle von üblichen Rauchmeldern Ansaugrauchmelder, die quasi unsichtbar sind, den gleichen Zweck erfüllen. Das Entscheidende ist, dass man bei der Planung nicht nur Probleme löst, sondern ein architektonisches Konzept vor Augen hat.

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Bei so einem hohen Aufwand stellt sich die Frage, ab wann man selbst Teilurheber des Entwurfes ist und ab wann eine Sanierung ein neuer Entwurf ist.

AS

Man kann es nicht so pauschal sagen. Es gibt viele gewöhnliche, einfache Bauten, die ohne nennenswerten Urheber konstruktiv errichtet wurden. Das sind Häuser, die von Anfang an eine gewisse Abnutzung beinhalten und immer wieder um­gebaut werden. Dies hat aber meist keine Relevanz. Dann gibt es baukulturell hochwertige Denkmäler mit einer starken Urheberschaft, bei denen man vorsichtig ist, aber wenn man nur zögerlich hantiert, kommt man nicht weit. Wir arbeiten daher eng mit der Denkmalpflege zusammen. Das Ergebnis hängt oft von einzelnen Personen ab.

KF

Es ist eine wichtige Frage, wie groß die Spielräume sind. Hier in Deutschland ist man bei denkmalgeschützten Gebäuden abhängig von den Denkmalschutzbehörden. Diese schränken die Freiheit zumeist ein, besonders, wenn ein wenig Mut erforderlich ist. Wenn ich mir angucke, wie Architekten in Belgien mit denkmal­geschützten Bestandsgebäuden umgehen dürfen, werde ich manchmal neidisch. Der Umgang wirkt so lässig und trotzdem habe ich nicht den Eindruck, dass da sorglos etwas zerstört wird.

?

Welche geschichtlichen Aspekte spielen bei der Erhaltung von Gebäuden eine Rolle? Welche Rolle spielt dabei der Ort und die Erinnerung an vergangene Zeiten?

AS

Es ist ein Prozess der Annäherung an die Vergangenheit. Man nähert sich langsam dem Haus an. Man geht um die „Beute“ herum, so wie ein Jäger, und schaut es sich von allen Seiten an. Es ist vielleicht die Art, wie man sich dem Haus nähert. Da hat jeder seine eigene Strategie.

KF

Es ist eine Auseinandersetzung mit der Identität eines Gebäudes. Dabei denkt man zunächst an Baudenkmäler oder Gebäude, die insgesamt eine Bedeutung in der Stadt haben. Das kann auch das große Kaufhaus aus den zwanziger Jahren sein. Jedes Gebäude hat schließlich seine eigene Geschichte. Man kommt in ein Haus hinein und findet Spuren, die zeigen, was unterwegs passiert ist. Wenn die Häuser sehr alt sind, sind sie häufig schon mehrfach umgebaut. Dann kann es interessant sein zu zeigen, dass es unterschiedliche Schichten gibt. Manche Gebäude sind vielleicht nicht so wertig, aber sie sind einfach ein Stück Alltagsgeschichte. Wir haben beispielsweise einen Bahnhof in eine Bibliothek umgebaut. Ich fand es großartig mir vorzustellen, was dieser Ort für die Menschen bedeutet hat, die von dort aus vor hundert Jahren gereist sind. Früher war Reisen anders als heute: Heute machen wir das andauernd. Damals war es etwas Besonderes. Es war der Stoff für Erzählungen und Erinnerungen. Die Vorstellung, was in einem Gebäude stattgefunden hat, beschäftigt mich. Noch spannender ist die Vorstellung, was vor diesem Hintergrund der Vergangenheit in Zukunft darin passieren könnte. Der Bestand bringt nicht nur Identität, sondern immer auch etwas Erzählerisches mit. Die Geschichten müssen nicht wahr sein, man verbindet einen Ort vielleicht mit Büchern, die man gelesen hat. Oder mit Orten, an denen man einmal gewesen ist. Und dann fragt man sich, wie die Erzählung an diesem Ort fortgeschrieben werden kann. Diese Klammer ist für mich das, was Bauen im Bestand so besonders macht.

AS

Wir haben auf einem ehemaligen Kasernengelände eine Hochschulbibliothek integriert. Der Fachbegriff heißt Konversion, also diese Umnutzung dieser ehema­ligen Kasernengebäude. In Bielefeld haben wir eine weitere in einer ehemaligen Fabrik für Panzer- und Flugzeugmotoren aus dem Dritten Reich integriert. Da hat man permanent nicht den verklärenden Blick auf die Vergangenheit, sondern im Grunde genommen eine ganz schwierige geschichtliche Identität. Wie geht man jetzt damit um? Die Lösung war, auf Abstand zum Altbestand zu gehen und Mate­rialien zu verwenden, um diesen Bruch zu zeigen. Bei Denkmalpflegern gibt es unterschiedliche Haltungen zur sogenannten Glasfuge als Trennung zwischen Alt und Neu. Man nimmt Materialien, die sich absolut von dem Bestand unterscheiden. Und das sorgt teilweise für ganz skurrile Lösungen, die dann von vielen nicht nachvollzogen werden können.

KF

Aber ist das nicht ein bisschen kurz gedacht, wenn man sagt, dass es auf der einen Seite das Bewahren und Fortschreiben in einem konstruktiven Sinne gibt und auf der anderen Seite den Bruch? Möglicherweise zeigen diese beiden Sichtweisen einfach die Bandbreite des Handlungsfeldes. Mich interessiert vor allem die Transformation eines Gebäudes: Was kann Neues daraus werden, damit ein Gebäude auch eine Zukunft hat? Wir wollen die Vergangenheit verstehen können und etwas Neues daraus machen. Jedes Bestandsgebäude bringt etwas mit, an dem wir uns reiben können und müssen. Der Bestand schafft die Bedingungen und Grenzen, in deren Rahmen wir Ideen finden und Konzepte für die Transformation entwickeln, gerade dann, wenn es um eine Umnutzung geht.

AS

Mein Eindruck ist, dass es in Deutschland sehr viele Architekten für Neubauten gibt, und dann wiederum nur auf Denkmäler spezialisierte Architekten. Das weite Feld dazwischen wird nicht bedient. Und wenn man dann Richtung Belgien guckt, ist dieses Weiterbauen und Umbauen selbstverständlicher und nicht so verkopft wie bei uns manchmal. Durch den Strukturwandel werden zukünftig deutlich mehr Bauvorhaben im Bestand stattfinden. Dann werden wir ganz schnell auch das Dazwischen in Angriff nehmen müssen. Auch in der Ausbildung.

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Inwieweit könnten Sie das Wissen und die Erfahrungen aus der Praxis als Expert*in­nen für Grundlagen des Entwerfens in die Lehre einbringen?

KF

Ich glaube, in Grundlagen des Entwerfens eher nicht. In Grundlagen des Entwerfens sind wir überwiegend mit abstrakten Themen unterwegs. Die sind teilweise sogar ortlos, aber natürlich wird der Ort im Laufe des ersten Jahres zum Thema und damit auch die Auseinandersetzung mit einem Kontext, einer angrenzenden Bebauung. Das streift zumindest am Rande das Themenfeld. Im Entwurf, finde ich, ist das Thema Bauen im Bestand bislang noch nicht richtig gut verankert. Wir haben das gerade im letzten halben Jahr viel im Kollegium diskutiert. Brauchen wir eine eigene Professur, die das Bauen im Bestand als Schwerpunkt hat? Wäre es gut, wenn jeder von uns regelmäßig ein Entwurfsthema zum Bauen im Bestand herausgibt, um auch unterschiedliche Herangehensweisen zur Diskussion zur stellen? Ich werde im aktuellen Semester eine Thesis zum Bestand herausgeben. Darauf freue ich mich schon.

AS

In der Ausbildung ist vor allem ganz wichtig, dass man ein gutes konzeptionelles Denken entwickelt und dadurch als Persönlichkeit gefestigt wird, weil man so durchgerüttelt wird beim Bauen im Bestand. Das ist das A und O! Wenn beispielsweise Bauphysiker*innen eine Außendämmung empfehlen, Sie als Architekt*innen aber die alte Fassade zeigen wollen, dürfen Sie nicht umfallen. Wenn Sie sich für eine Innendämmung entscheiden, haben Sie zwar von außen die alte Fassade, aber von innen ganz viele Stellen, die Sie nicht so einfach im Griff haben und die dann auch bearbeitet werden müssen. Diese architektonische Grundausbildung ist das, was man immer mit sich trägt. Das ganze Berufsleben. Das ist unheimlich wichtig.

KF

Wie siehst Du das in Baukonstruktion, Andreas?

AS

In der Baukonstruktion haben wir auch schon ein paar Projekte im Bestand gemacht. Neben meinem Büro war ich an der TU Dortmund lange Assistent im Department Baukonstruktionen. Danach hatte ich einen Lehrauftrag an der FH Münster und habe dort eigenverantwortlich baukonstruktive Entwürfe im Bachelor wie im Masterstudium betreut. Hin und wieder gab es Bestandsgebäude, die überplant werden mussten. Wichtig ist mir zu vermitteln, dass die Philosophie des Details mit der Grundkonzeption zusammenhängen sollte.

KF

Diese Frage hatten wir vor Kurzem: Kann man Baukonstruktion im Bestand lehren? Das glaube ich, kann man am besten am einzelnen Entwurf. Im Bestand ist alles ein Unikat. Und man kann in der Auseinandersetzung mit einem spezifischen Entwurf diesen weiterentwickeln bis ins Detail. Das großartige beim Bauen im Bestand ist, dass man jedes Mal ein kleines bisschen Baugeschichte dazu lernt. Man hat ein Gebäude vor sich und versucht in fast schon detektivischer Arbeit den Dingen auf den Grund zu gehen: Was ist denn das hier? Was ist denn das für eine Decke? Was ist das für ein System? Und wann ist das wohl verbaut worden? Haben wir das überall? Oder ist das gerade die Decke, die in den fünfziger Jahren erneuert wurde, weil genau hier eine Bombe eingeschlagen hatte? Und so lernt man wieder was dazu.

AS

Neben den wichtigen elementaren Basics ist es mir nicht so wichtig, alles auswendig lernen zu müssen. Es muss aber vermittelt werden, wo das Wissen zu finden ist, z.B. wie wurde 1910 in Bochum gebaut oder 1920 in Berlin. Das kann man alles nach­lesen. Da gibt es auch entsprechende Forschungen. Wichtig ist zu vermitteln, warum denn historische Gebäude auch in den Fassaden immer diese Profilierungen hatten. Man denkt immer, das hängt mit der Optik des Hauses zusammen, der Hauptgrund war einfach, das Wasser von der Fassade wegzuhalten. An einem Vorsprung läuft das Wasser runter und ist dann weg vom eigentlichen Haus. Wasser ist der Feind aller Architekt*innen. Weil Wasser alles kaputt macht. Entweder über Jahre oder auch manchmal ganz kurzfristig. Und wenn man das verstanden hat, kann man davon wieder viele neue Detaillösungen entwickeln.

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Wenn man berücksichtigt, dass circa drei Viertel aller Gebäude in Deutschland vor 1977 errichtet worden sind und wir einen großen Sanierungsstau haben, wie schätzen Sie die Rolle von gerade uns jungen Architekt*innen in Zukunft ein? Und werden wir gut genug darauf vorbereitet, was da so kommt?

KF

Ich finde, ja. Wenn ich mir die Projekte angucke, die mich momentan begeistern, dann werden deren Architekt*innen kaum sagen, dass sie das machen, weil sie zum Thema Bauen im Bestand bestens geschult wurden. Sondern die Häuser sind deswegen so beeindruckend, weil sie eine klare Idee, ein nachvollziehbares Konzept haben. Die Architekt*innen bringen Entwurfskompetenz mit und begeistern sich an dieser Reibung mit dem Bestand. Natürlich stellen sich im Bestand andere Fragestellungen als im Neubau und vielleicht ist man darauf erstmal nicht vorbe­reitet. Aber wir reden immerzu vom lebenslangen Lernen. Ich glaube, für nichts und niemanden gilt das mehr als für Architekt*innen. Im Sekundentakt werden die Normen neu aufgelegt. Und man hat irgendwie das Gefühl, dass man sowieso nicht immer alles genau wissen kann, aber man hat doch sehr viel baukonstruktives Grundwissen. Und damit kann man das bewältigen. Ich denke, man braucht ein Grundverständnis für die Baukonstruktion und eine Leidenschaft dafür. Als Absolvent*innen der Hochschule Bochum seid Ihr meines Erachtens in dieser Hinsicht gut ausgebildet. Wie sehen Sie das, Herr Schüring?

AS

Wir haben jetzt über sehr viele aktuelle und zukünftige Themen gesprochen, die permanent im Fluss sind und sich stetig wandeln. Darum ist es wichtig, sich weiter zu informieren und auch immer zu schauen, was in der Welt passiert. Zeitung lesen, querlesen. Dann sieht man überall kleine Hinweise dieses Wandels. Neue Felder, die sich öffnen mit eigenen vermeintlichen Expert*innen, doch diese Themen sind vielleicht auch klassische Architektenthemen von morgen. Und dann müsst Ihr Euer Berufsfeld abstecken. Was macht man als Architekt*in und was machen die anderen? Für Eure Generation oder auch für uns praktizierende Architekt*innen ist unheimlich wichtig, dass man sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt.

KF

Unsere Kernkompetenz liegt darin, komplexe Aufgaben und Fragestellungen mit einer konzeptionellen Herangehensweise zu koppeln. Für das Bauen im Bestand bedeutet das, dass wir das Umbauen und Sanieren als Transformationsprozess sehen müssen. Inzwischen ist das Bauen im Bestand keine neue Aufgabe mehr, sondern es gibt beispielhafte Architekturen in diesem Bereich, von denen man lernen kann und verstehen, welche gigantische Chance im Bauen im Bestand steckt. Dass es eben nichts mit Renovieren zu tun hat. Auch nicht nur mit Sanieren. Es geht am Ende fast immer um eine Transformation, um die Frage, was aus einem Gebäude werden soll, welche Potenziale es birgt, wie seine Zukunft aussehen kann. Bei dieser Aufgabe, die Dinge in die Zukunft zu denken, macht uns als Architekt*innen letztendlich doch niemand so schnell etwas vor. Das ist etwas, was man im Studium unbedingt lernen sollte.

 

Katharina Feldhusen ist Professorin für Entwerfen im Fachbereich Architektur an der Hochschule Bochum und Gründungspartnerin von ff-architekten, Feldhusen und Fleckenstein in Berlin.

 

Andreas Schüring ist Professor i.V. für Entwerfen und Baukonstruktion im Fachbereich Architektur an der Hochschule Bochum und Inhaber von Andreas Schüring Architekten BDA in Münster.

 

Das Gespräch führten Moritz Exner, Philipp Griese und Florian Ling.

  • Die Alte Mälzerei in Berlin Lichtenrade

    ff-Architekten (Foto: Andreas Meichsner)

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    ff-Architekten (Foto: Andreas Meichsner)

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    ff-Architekten (Foto: Andreas Meichsner)

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    ff-Architekten (Foto: Andreas Meichsner)

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