Internationale Erfahrung im Architekturstudium
Exkursion nach Venedig mit Prof. Karin Lehmann
Internationalität in der Architekturlehre – Über globale Veränderungsprozesse, Herausfor­derungen an Architektur, Stadtplanung und Internationalität in der Architekturlehre.

Ein Gespräch mit:
Prof. Karin Lehmann (KL)
Simon Pallubicki (SP)
Bernardo Vaz Pinto (BVP)

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Herr Pallubicki, in Ihrem Profil auf unserer Website erwähnen Sie, dass die Herausforderungen im Architekturstudium durch die zunehmende Komplexität in den Aufgabenfeldern und durch die sich ständig verändernde Welt steigt. Man muss die Fähigkeit haben, die Welt als Ganzes zu sehen. Wie ist das zu verstehen?

SP

Die Welt und auch die Umweltsituation wird jeden Tag komplexer. Gleichzeitig haben wir technologisch immer raffiniertere Werkzeuge. Gropius hat gesagt, dass wir jeden Tag ausgefeiltere Werkzeuge haben, aber wir fragen uns nicht, zu welchem Zweck wir sie benutzen. Das ist meiner Meinung nach die eigentliche Frage: nach dem Sinn, den wir unserem Handeln geben in einer vielschichtigen Welt. Und in diesem Zusammenhang ist es für mich sehr erfrischend, auf internationaler Ebene zu arbeiten, denn ein Teil unserer Produktion findet in Afrika statt, wo sich Transformation recht schnell vollzieht. Im Ausland zu arbeiten bedeutet nicht nur, etwas anzuwenden, das wir kennen, sondern auch, mit neuen Ideen zurückzu­kommen. Es ist interessant, mit einer Gesellschaft oder einem Projektkontext konfrontiert zu werden, in dem wir unsere komplexen Werkzeuge nicht einsetzen können und stattdessen Demut beweisen müssen.

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2014 haben Sie mit Ihrem in Frankreich gegründeten Büro Enia-Architectes ein neues Büro in Neu-Delhi, Indien, eröffnet. Was hat Ihr Team dazu bewegt, sich für die Erweiterung des Büros in Indien zu entscheiden?

SP

Wir haben viele internationale Architekt*innen in unserem Büro, und wir hatten eine indische Mitarbeiterin, die nach Indien zurück gehen wollte. Da hatten wir die Chance, mit ihr einen Wettbewerb in Indien zu gewinnen und haben sehr schnell gemerkt, dass es unmöglich ist, dieses Projekt aufzubauen, ohne ein Büro vor Ort zu haben. In Indien sind die Projektkosten deutlich niedriger als in Europa. Also haben wir ein Büro vor Ort gegründet. In der Folge haben wir weitere Wettbewerbe gewonnen, vor allem im Transportsektor, was es uns ermöglichte, dort ein rich­tiges Büro einzurichten und eine substanzielle Geschäftstätigkeit zu starten. Das ist einer der Gründe, warum wir unsere indischen Projekte weiter vorange­trieben haben, denn im Ausland zu arbeiten ist eine intellektuelle Bereicherung. Was den wirtschaftlichen Aspekt angeht, so muss man sich bewusst sein, dass die Arbeit im Ausland ein großes Risiko auf finanzieller und vertraglicher Ebene darstellt. Die Arbeit im Ausland ist keine kurzfristige Investition. Wir haben uns entschieden, ein Studio in Indien zu gründen, weil wir dachten, dass wir dort mindestens 15 Jahre bleiben würden. Nun sind wir seit 2014 dort. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass es aus finanzieller Sicht nicht unbedingt sinnvoll ist, dort zu arbeiten, aber wir sind immer noch an Bord. Denn im Ausland zu arbeiten bietet auch die Mög­lichkeit, Zugang zu Projekten in anderen Größenordnungen zu haben. Es bedeutet auch, mehr konzeptionelle Freiheit als z.B. in Frankreich zu haben, wo die Regu­lierungen heutzutage über­mäßig komplex sind.

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Sie haben kontinuierlich unterrichtet und auch einige Architektur-Workshops weltweit betreut, wie z.B. in den USA, Korea, Japan und Argentinien. Wie haben die Teilnehmer*innen auf diese internationalen Workshops reagiert? Welches Land oder welche Stadt oder sogar Kultur hat Sie am meisten fasziniert?

SP

Ich interessiere mich sehr für die internationalen Beziehungen mit den Ländern, die eher am Rande stehen. Meistens wollen die Studierenden ein Jahr in der Schweiz oder an anderen Fakultäten oder Universitäten studieren, die in einem Lebenslauf auf dem globalen Markt einen hohen Wert haben. Meiner Ansicht nach sollte eine internationale Erfahrung für Architekt*innen aber etwas anderes sein. Ich war zum Beispiel involviert in dem Austausch mit Argentinien, mit einer Schule, die nicht sehr bekannt ist, dafür mit Lehrenden, die eine sehr spannende Mentalität haben und die mit wirklich geringen Budgets arbeiten. Sie sind sehr engagiert im Unterricht und das finde ich viel interessanter als Studierende an bekannte Universitäten der Welt zu schicken. Für Studierende ist ein Auslandsaufenthalt eine Möglichkeit, ihre Vorstellungen zu verändern. Es ist eine großartige Gelegenheit, mit einer neuen Kultur und einem neuen physischen Kontext konfrontiert zu werden und andere Wege zu entdecken, wie man die Dinge angeht. Deshalb bin ich sehr involviert in diesen Austausch mit Ländern, die ein bisschen weniger bekannt sind.

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Karin Lehmann, Sie haben während Ihres Architekturstudiums ein Auslandsstu­dium in Rom absolviert. Glauben Sie, dass diese Zeit Ihr Denken und den Blick auf internationale Architektur verändert hat?

KL

Ich bin froh, dass ein Stipendium es mir möglich machte, ins Ausland zu gehen. Ich ermutige unsere Studierenden immer, diese Möglichkeit zu nutzen, weil es nicht nur bedeutet, in andere didaktische Konzepte zu springen, sondern man springt auch in eine andere Kultur. Ich muss zugeben, dass ich die mediterrane Kultur liebe. Ich fühle mich in Italien, Portugal, Frankreich oder Spanien viel wohler als in Deutschland, weil die Deutschen so wenig lachen. Wenn man zu ernst ist, kann man keine Probleme lösen. Wir machen alle Fehler und wenn wir manchmal lachen und über unsere Fehler und Schwächen scherzen, fällt es uns leichter, Probleme zu bewältigen. Für mich war es schwer, nach zwei Jahren in Rom wieder nach Deutschland zu kommen. Ich habe sehr gelitten und dann habe ich mir für meine Promotion ein Thema ausgesucht, das mit Italien zusammenhängt, denn so hatte ich immer eine Ausrede, um wieder nach Italien zu fahren und in den Archiven zu forschen. Ich bin wirklich mit den Menschen und der Sprache verbunden.

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Was war die Motivation für Sie, die Verantwortung für die Austauschprogramme und internationalen Angelegenheiten der Hochschule Bochum zu übernehmen?

KL

Ich bin schon seit 14 Jahren in die internationalen Angelegenheiten unserer Hochschule involviert. Es war der erste Workshop in Ankara, wo ich meinen portugie­sischen Kollegen Bernardo Vaz Pinto kennenlernte. Da ging es los, denn der Workshop war tatsächlich eine Art Plattform, um Professoren von anderen Univer­sitäten aus ganz Europa zu treffen. Tagsüber arbeiteten wir mit den Studierenden in internationalen Teams und abends bei einem Glas wurden Freundschaften geschlossen und Ideen für eine zukünftige Zusammenarbeit entwickelt.

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Hatten Sie das Gefühl, dafür bestimmt zu sein?

KL

In gewisser Weise schon, denn Kommunikation, Organisation und Management gehören sicherlich zu meinen Stärken, die für eine Internationalisierung unseres Fachbereiches absolut notwendig sind. Internationalisierung bedeutet Menschen zusammenzubringen, Austausch zu fördern und gemeinsame Ziele zu formulieren. So habe ich sowohl gemeinsam mit Bernardo Vaz Pinto als auch mit Simon Pallu­bicki erfolgreich Anträge für das DAAD Gastdozentenprogramm gestellt, so dass die Kollegen jeweils für ein Jahr an unserem Fachbereich unterrichten konnten.

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Eine Besonderheit im Architekturstudium an der Hochschule Bochum ist, dass internationale Erfahrung in Form eines Auslandsemesters oder des internationalen Studios fest im Curriculum integriert ist. Denken Sie, dass der internationale Aspekt auf diese Weise ausreichend vertreten ist?

KL

Für den Studienalltag in Bochum ist Internationalität eine große Bereicherung, weil man auch Studierende aus der Türkei, aus Italien, aus Spanien in seinen Seminaren hat. Wir müssen weitere Studierende aus anderen Ländern einladen, an unsere Fakultät zu kommen. Dafür müssen wir im Curriculum mindestens 30 ECTS-Punkte für englischsprachige Kurse schaffen. Das ist noch ein weiter Weg.

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Bernardo Vaz Pinto, Sie haben eine ganze Weile in den USA gelebt, studiert und gearbeitet. Wie sehr, denken Sie, hat das die Art und Weise beeinflusst, wie Sie arbeiten, aber vor allem die Art und Weise, wie Sie an der Universität lehren? BVP: Die Möglichkeit ins Ausland zu gehen ist kulturell und auch beruflich eine solche Veränderung, dass es einen wirklich umkrempelt. Das erste, was mich verändert hat ist, in Englisch zu kommunizieren. Der zweite Punkt ist, dass ich durch den Auslandsaufenthalt erst gemerkt habe, dass die Welt größer ist; nicht nur, weil die Vereinigten Staaten größer sind, sondern weil ich Studierende aus Thailand, aus Deutschland hatte. Ich komme aus Portugal mit neun Millionen Einwohnern, wo sich mehr oder weniger jeder auf der Straße kennt. Es ist also eine enorme Ver­änderung der Größenordnung. Ich hatte die Chance, an eine besonders gute Einrichtung zu gehen, an der es eine Menge Konkurrenz gab. Ich stimme aber völlig mit dem überein, was Simon gesagt hat, dass ich heute versuchen würde, in die unbekannteren Gegenden zu gehen. All diese Erfahrungsebenen waren also ziemlich beeindruckend und es hat definitiv meine Sichtweise auf die Dinge verändert.

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Sie waren der erste Professor, der über den DAAD nach Bochum kam. Wie hat diese Art des Lehrens in Deutschland die Art und Weise verändert, wie Sie jetzt in Portugal unterrichten?

BVP

Ich habe das Gefühl, dass ich jedes Mal neu anfange. Als ich nach Bochum ging, hatte ich iranische Studierende, türkische Studierende und natürlich Deutsche, wahrscheinlich die Mehrheit. An der Oberfläche sind sie fast gleich, fängt man aber an zu kratzen, entdeckt man eine völlig andere Welt. Und wieder denke ich, dass einer der Fehler, vielleicht mein Fehler, darin besteht, dass man die kulturellen Veränderungen, von denen Simon gesprochen hat, immer noch nicht zulässt, denn nur wenn man im Ausland ist, versteht man die kleinen kulturellen Unterschiede. Jeder Student hat seinen eigenen Raum, kulturell gesehen, aber ich habe Folgendes gelernt: Dass man ihnen Raum geben muss und dass die Universität autonomer sein sollte. Ich habe gesagt: „Ich werde nicht alle zwei Wochen in ein Studio gehen.“ Es hat funktioniert, denn natürlich sind Studierende mit 20, 22, 23 Jahren völlig selbstständig. In Portugal neigen wir dazu, überfürsorglich zu sein. Man muss in der Klasse sitzen und die Anwesenheit wird vom Direktor kontrolliert. Ich halte davon nichts mehr, dank meiner Amerika-Erfahrung. Ich hatte Klassen mit großartigen Professoren, die nur da waren, weil wir ihnen zuhören wollten. Nur wegen der zehn Minuten die sie da sein konnten.

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Sie haben auch viele internationale Studierende in Portugal empfangen. Welche besonderen Qualitäten haben Sie in diesem interkulturellen Austausch erfahren?

BVP

Es ist immer besser, eine Vielfalt zu schaffen. Wenn man einen Professor aus Spanien, aus Indien oder von einem unbekannten Ort hat, ist das immer gut für die Studierenden. Die Sprache ist ein großes Problem, weil unsere Studierenden in Portugal wahrscheinlich hauptsächlich aus Afrika, Spanien und Polen kommen. Wenn ich 20 Studierende in der Klasse habe, ist es sehr schwierig, ständig zwischen Portugiesisch und Englisch zu wechseln. Ich habe zwar eine Menge schriftliches Material, aber ich bin sehr intuitiv. Im Seminar rede ich über einen großen Architekten aus Argentinien und dann muss ich das wieder übersetzen, wo immer etwas verloren geht. Wichtig ist, dass andere Sichtweisen ihren Weg in die Unis finden. Das Letzte was wir brauchen, ist immer wieder derselbe Professor mit den immer gleichen Problemen. Ich denke, dass wir heute noch völlig mittelalterlich sind und immer noch das Gleiche unterrichten. Die Studierenden müssen mit der Hand skizzieren, was auch wichtig ist, das ist unsere Sprache, aber die Welt hat sich verändert. Ich sage nicht, dass wir den Unterricht aufgeben müssen, aber wir brauchen neue Ideen und vor allem müssen wir von Leuten aus Thailand oder Bali hören. Ihre Erfahrungen sind sehr wertvoll, allein schon, weil sie ein anderes Klima haben und kein Geld haben. Länder wie Luxemburg zahlen 3000 Euro als niedrigstes Gehalt, Por­tugal zahlt 600. Diese Dinge kann man nur lernen, wenn man jemanden vor sich hat, der von einem anderen Ort kommt. Natürlich kann man das im Internet nachlesen, aber die Wirkung, die es hat, jemanden vor sich zu haben, der von einem anderen Ort kommt, ist unbezahlbar.

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Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Veranstaltungen und Veranstaltungsformate?

BVP

Das Format des Workshops geht auf die Architektur-Praxis zurück, in der man nicht alleine arbeiten kann. Natürlich kann man allein skizzieren und alleine sein, aber ich glaube nicht, dass Architektur ohne einen Dialog existieren kann, ohne Menschen im Büro, die Ideen austauschen. Das an die Universität weiterzutragen, ist für mich sehr wichtig. Studierende nehmen bei uns auch an Wettbewerben teil, die ihnen eine Menge geben. Ich sehe dabei die Verwandlung in den Studierenden. Es ist unglaublich, was man durch die Arbeit in Workshops gewinnen kann.

KL

Ich hatte mehrmals die Gelegenheit, an diesen spannenden Workshops in Lissabon teilzunehmen. Meiner Meinung nach ist der Workshop für viele Studierende eine Möglichkeit, in kurzer Zeit eine sehr intensive internationale Erfahrung zu machen. Denn Workshop heißt nicht nur zusammen zu arbeiten, sondern auch zusammen zu leben. Das Ziel nach zehn Tagen Arbeit ist, dass man sein Projekt vor einem Pub­li­kum präsentieren muss. Das ist wirklich eine Herausforderung für die Studierenden, Professor*innen und alle Assistent*innen. Man macht außerdem die Erfahrung von Exkursionen, man schaut sich gemeinsam Architektur an und lernt viel voneinander. Es geht immer um Zusammenarbeit vom ersten Moment an. Man arbeitet zusammen und man denkt zusammen, um das beste Ergebnis zu erzielen. Teamwork ist das Ziel, und das sollte es auch im Berufsleben sein.

SP

Unser Denken wird jeden Tag globalisierter und die Architektur verteidigt universelle Ideen. Es gibt immer den einen Moment, in dem die Architektur den Boden berührt und an einem Ort verankert wird. Daher denke ich, dass es für Studierende sehr wichtig ist, ins Ausland zu gehen und ihre Ideen mit einem anderen physischen und kulturellen Kontext zu konfrontieren. Denn so kann man das, was man an seiner eigenen Uni gelernt hat, in Frage stellen, was für mich eines der wichtigsten Elemente ist. Der Faktor Zeit ist ebenfalls sehr wichtig, denn ich habe in Workshops zwei Tage, eine Woche, manchmal einen Monat lang gearbeitet. Wenn wir im Semester Projekte unterrichten, haben wir immer die Idee, dass die Theorie dem Projekt vorangehen soll, oder dass die Forschung der praktischen Arbeit vorangeht. Ein Workshop kehrt diese Situation völlig um. Die Zeit ist knapp – wir sind direkt mit dem praktischen Tun konfrontiert. Das ist für mich der wichtigste positive Punkt am Workshop, weil es eine echte Alternative zur klassischen Art der Lehre während eines Semesters ist. Außerdem kommen verschiedene Studierende eine Woche lang zusammen. So ergibt es sich, verschiedene Standpunkte, verschie­dene Visionen von der Welt, vielleicht auch Gegensätze von Werten auszudrücken. Deshalb bin ich sehr interessiert an Workshops als ergänzende Methode zur klassischen Lehrmethode. Es gibt einen schönen Text, der sagt: „Der Planet ist als Territorium eine Herausforderung für Architekten.“ Es ist auch eine Art, sich bewusst zu machen, dass unsere Arbeit als Architekten nicht nur lokale, sondern auch globale Auswirkungen hat. Dass wir uns der Tatsache bewusst sind, dass wir nur einen Planeten haben, auf dem wir leben, und dass wir uns um ihn kümmern müssen. Das ist einer der Gründe, warum es meiner Ansicht nach wichtig ist, auf einer interna­tionalen Ebene zu lehren und die Studierenden mit einem internationalen Arbeitskontext zu konfrontieren.

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Wo sehen Sie die Welt im Jahr 2030 mit Blick auf Globalisierung in der Architektur und die Zusammenarbeit? Welche Probleme könnten in der kommenden Genera­tion mit dem Medium der Architektur und der Stadtplanung bearbeitet werden und auftauchen?

BVP

Die großen Soziologen und Philosophen sprechen von „disruptiven Technologien“. Einige nennen es die vierte technologische Revolution. Denken Sie an Google und Facebook, welche mächtiger als Regierungen sind. Auch Architektur ist hochpo­litisch. Was mich an Ihrer Frage interessiert, ist: Wie können wir uns anpassen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Wort mag, denn manchmal, wenn man sich anpasst, verliert man einige der Qualitäten, die man besitzt. Die Zeit läuft schnell und die Geografie ist komprimiert worden. Architektur soll nicht schöne Projekte hervorbringen, sondern muss Probleme lösen. Wie genau wir das tun? Ich denke darüber nach, diese Frage aufzugreifen und auch von meinen Studierenden Antworten 
zu bekommen. Was können wir für alle besser machen? Ich habe bei Glenn Murcutt einen Text gefunden, den ich immer noch für sehr aktuell halte: Die Ureinwohner Australiens haben immer gesagt, berühre das Land nur ganz sachte. Das ist eine der schönsten Charakterisierungen dessen, was Architektur sein sollte. Wir sollten das Land leichtfüßig berühren. Gleichzeitig müssen wir neue Medientechnologien einbeziehen. Ich bin sehr für BIM, aber nicht in dem Sinne, dass man die Architektur kontrolliert. Man muss versuchen, das Problem zu lösen, indem man die richtigen Daten verwendet.

SP

Wir sollten immer darüber nachdenken, was der Sinn hinter den Werkzeugen ist, die wir einsetzen. Ich spüre, dass wir dazu neigen, jeden Tag einfachere Lösungen zu bauen, aber wir haben zu komplexe Tools, um einfache Dinge zu bauen. Sie sprachen von der zunehmenden Komplexität unserer Welt. Ich habe eine optimis­tische Einstellung und wir haben die Chance, in einem Beruf zu arbeiten, der einen Einfluss auf die Einrichtung der Welt hat. Wir sollten unsere Anstrengungen darauf verwenden, die Welt von morgen attraktiver zu machen. Das ist eine sehr noble Sache und Technologie kann ein Schlüssel dafür sein. Aber man sollte bedenken, dass die Technologie auch erlaubt, die Dinge zu vereinfachen. In meinem Büro wird viel geforscht, wir haben ein eigenes Labor und arbeiten an sehr technischen Themen, insbesondere an Rechenzentren, die weltweit einen sehr hohen Energieverbrauch haben. Wir haben herausgefunden, dass wir durch architektonische Lösungen den Energieverbrauch dieser Rechenzentren um etwa 15 bis 20 Prozent senken könnten. Es ist sehr wichtig, sich auf Themen zu konzentrieren, bei denen wir einen großen Einfluss nehmen können. Für mich ist zum Beispiel das Anbringen von Pflanzen an einer Fassade eine Menge Greenwashing in der heutigen Archi­tektur. Wir sollten unsere Bemühungen auf Dinge konzentrieren, die wirklich nützlich sind.

KL

Das Jahr 2030 ist grandios, weil meine Kinder dann studieren werden. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir uns immer bewusst sind, dass Digitalisierung und Technologie stets nur Werkzeuge sind. Es ist unsere Aufgabe als Lehrende, die nächste Generation zu ermutigen, ihr Gehirn zu benutzen und nicht nur das zu denken oder zu glauben, was sie sehen. Wir müssen immer hinter die Kulissen schauen. Da ich mich mit Architekturgeschichte und Architekturtheorie beschäftige, denke ich, dass es auch für die Zukunft von Bedeutung sein wird, unser historisches Erbe zu kennen und dass wir von unserem kulturellen Erbe lernen. Nur durch das, was wir wissen, können wir unsere Position für heute definieren und dann die Zukunft planen. Wir müssen die Vergangenheit kennen und eine gute Zukunft schaffen, eine menschliche Zukunft. Wir müssen uns die Hände reichen, um an einer besseren Arbeitswelt zu arbeiten und nicht zu viel Macht an die digitalen Firmen zu geben, die manchmal nur Krisen erzeugen. Nicht wir sind ihre Werkzeuge, sondern sie sind unsere Werkzeuge. Es kann gar nicht besser enden, als mit Buddhas Worten: „Keiner kann dich retten, sondern du musst es selbst tun. Nimm dich einfach selbst und du musst es tun“.

 

Karin Lehmann ist Professorin für Gestaltungslehre, Baugeschichte und Architekturtheorie am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Koordinatorin der internationalen Austauschprogramme.

 

Simon Pallubicki ist internationaler Gastdozent am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Partner im Architekturbüro Enia Architectes, Frankreich.

 

Bernardo Vaz Pinto ist internationaler Gastdozent am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Gründer des Lisbon Design Studio, Portugal.

 

Das Gespräch führten Lucas Schlüter, Galih Setyanto, Azra Tatarevic und Nurcihan Uslu.

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