Baukonstruktion 3 Prof. Dr.-Ing. Jutta Albus
Eco-Friendly Living 2024, Jesper Lindemann, 
Julian Mentz
Das Nachhaltigkeitsverständnis im Wandel der Zeit

Maike Kabitzsch, Christine Mildenberger im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Jutta Albus, Prof. Volker Huckemann und Prof. Dr.-Ing. Michael Maas

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Im Jahr 2023 wurde an der Hochschule Bochum das neue Fachgebiet „Entwerfen und Konstruieren. Nachhaltiges Bauen“ geschaffen. Welche Akzente werden Sie mit dieser neuen Professur setzen, Frau Albus?

Jutta Albus
Grundsätzlich hat mein Vorgänger Prof. Christian Schlüter schon 
diesen Themenbereich behandelt, wobei wir noch mehr versuchen wollen, einen ganzheitlichen Blickwinkel zu erreichen. Ich finde es wichtig, dass Studierende ein nachhaltiges Grundverständnis für Architektur entwickeln. Es reicht nicht, nur spezifische (Bau-)Technologien und baurechtliche Vorschriften um Energie und Ressourcenschonung zu erlernen, sondern ein Verständnis der zugrunde liegenden Prinzipien zu vermitteln, um Architektur wirklich nachhaltig zu gestalten. Wenn ich baue, sollte ich mir nicht nur Gedanken über die Materialwahl und Bauweisen machen, sondern auch das gebäudenahe Umfeld und die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen. Es geht darum, wie wir Materialien lokal beschaffen und Bauweisen so gestalten können, dass sie reversibel sind und sich in den natürlichen Kreislauf einfügen. Eine gesamtheitliche Betrachtung ist entscheidend, einschließlich landschaftsökologischer Aspekte und der Minimierung von negativen Umwelteinflüssen wie z.B. Überhitzung. Unsere Aufgabe als Architekt*innen ist es, nicht nur für die Nutzer*innen, sondern auch für die Umwelt optimale Bedingungen zu schaffen.

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Wie hat sich der Nachhaltigkeitsbegriff in Architektur und Lehre in den vergangenen 15 Jahren verändert?

Jutta Albus
Die Themen der Nachhaltigkeit sind nie weg gewesen, aber in den vergangenen Jahren noch präsenter geworden. Zu der Zeit, als ich bei Santiago Calatrava gearbeitet habe, lag der Fokus weniger auf Nachhaltigkeitsthemen im Bauen, wie z.B. Lebenszyklusbetrachtung oder Zirkularität, sondern eher auf der Konzeption und Entwicklung repräsentativer Bauten. Als ich 2009 an den Lehrstuhl von Prof. Stefan Behling an der Universität Stuttgart kam, wurde ich mit der Idee des nachhaltigen Bauens konfrontiert. Obwohl ich am Lehrstuhl für Baukonstruktion war, haben wir uns immer mit der Effizienzthematik beschäftigt, was ein Teil des nachhaltigen Bauens ist. In den vergangenen Jahren hat sich ein noch stärkeres Bewusstsein für einen effizienten Materialeinsatz und eine ganzheitliche Betrachtung des Bauens entwickelt. Vor allem die Themen Gebäudebetrieb und Bestandserhalt sind in den vergangenen Jahren in den Fokus gerückt. Eine zentrale Rolle spielt 
dabei die Reduktion von Technik und eine optimierte Energieeffizienz.

Michael Maas
Normen und Anforderungen haben sich im Laufe der Jahre immer stärker auf Effizienz konzentriert. Nicht berücksichtigt wurde die Frage nach der Anforderung an Flächen, an den umbauten Raum, oder die Flächennutzung pro Person. Jetzt muss der Fokus auf die planetaren Grenzen und eine gerechte Verteilung von Ressourcen gelenkt werden. In Bezug auf die Lehre ist es wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Vermittlung von Basiswissen und der Diskussion über komplexe Themen wie Nachhaltigkeit zu finden. Die Studierenden können nur aufbauend auf einer soliden Wissensbasis befähigt werden, komplexe ökologische, ökonomische und soziologische Zusammenhänge zu erkennen. Sie zu befähigen, diese Zusammenhänge dann zu verstehen, sie einzuordnen und eigenständig zu bewerten, wird zunehmend auch Aufgabe einer verantwortungsvollen Lehre.

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Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit ist das Verständnis der Bauphysik von wachsender Bedeutung. Dies galt in der Vergangenheit eher als Randgebiet der Architektur, das obligatorisch studiert werden musste. Angesichts eines gewachsenen Umweltbewusstseins haben wir heute einen veränderten Blick auf das Fachgebiet. Bekommt die Bauphysik nun einen neuen Stellenwert, da wir ohne dieses Verständnis gar nicht nachhaltig entwerfen können?

Volker Huckemann
Die Bauphysik wird oft als Nische betrachtet, weil es weniger um Entwurf und Ästhetik geht, sondern vielmehr um Funktionalität. Stärker in den Fokus gerückt sind allerdings Themen der Energieeinsparung und nachhaltigen Energiekonzepte. Insgesamt hat sich der Stellenwert der Bauphysik dennoch nicht wesentlich verändert, das Thema war schon immer wichtig. Wenn ich die Bauphysik nicht beachte, dann baue ich kein nachhaltiges Haus. Das ist insbesondere bei modernen Holzbauten entscheidend. Hier muss man zum Beispiel Probleme wie Schimmelbildung vermeiden, um die Langlebigkeit der Strukturen zu gewährleisten.

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Wie können Studierende dazu ermutigt werden, die Bauphysik als Schlüsselaspekt für nachhaltiges Bauen zu verstehen und entsprechend zu integrieren?

Volker Huckemann
Ganz einfach, indem man ihnen den Spaß an der Materie vermittelt und die Zusammenhänge verständlich erklärt. Es ist wichtig, die Relevanz der Bauphysik im Kontext des Alltags zu verdeutlichen und sie in einen größeren Maßstab zu setzen.

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Kann auch die Tragwerkplanung als Schlüsselaspekt für nachhaltiges Bauen gesehen werden? Wie kann diese Perspektive in die Lehrmethodik integriert werden?

Michael Maas
Die Tragwerkplanung ist ein zentraler Aspekt für nachhaltiges Bauen, weil sie direkten Einfluss auf die Ressourcennutzung und Langlebigkeit eines Gebäudes hat. In meiner Lehre bringe ich den Studierenden bei, Abhängigkeiten zwischen Stützweiten, Materialien und Lasten zu erkennen. Ich zeige auf, wie sich Entscheidungen in der Tragwerkplanung auf die Nachhaltigkeit eines Gebäudes auswirken. Das Ziel ist es, Tragwerke so zu planen, dass sie langlebig sind und eine Umnutzung ermöglichen, um Ressourcenverbrauch und Abfälle zu minimieren. Das erfordert eine ganzheitliche Betrachtung und die Definition klarer Rahmenbedingungen, die gemeinsam mit dem gesamten Kollegium vermittelt werden müssen.

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Es wird vielfach beklagt, dass das Bauwesen überreguliert sei. Besteht eine Notwendigkeit zur Überarbeitung oder gar Abschaffung einiger Normen – und welche Rolle spielt das im Studium?

Michael Maas
Sicherheitsstandards beruhen auf gesellschaftlichen Entscheidungen und Erfahrungswerten der vergangenen Jahrzehnte. Zum Beispiel haben wir in der Tragwerkplanung Erfahrungen gemacht, die zeigen, dass zu niedrig angesetzte Lastannahmen in der Vergangenheit heute zu Schäden führen können. Normen sind zwar keine Gesetze, aber Abweichungen davon bergen rechtliche Risiken für Ingenieur*innen und Architekt*innen. Es ist wichtig, die Auswirkungen solcher Abweichungen kritisch zu hinterfragen und eine ausgewogene Balance zwischen Sicherheit und Ressourceneffizienz anzustreben. Eine Überarbeitung oder Abschaffung bestimmter Normen erfordert eine sorgfältige Abwägung der langfristigen Auswirkungen, insbesondere im Hinblick auf Nutzungsänderungen und die Lebensdauer der Bauwerke. Grundsätzlich sollten Regeln immer wieder hinterfragt und kritisch auf ihre Vermeidbarkeit hin überprüft werden. Weniger zu regeln bedeutet auch, mehr Verantwortung auf die Planenden zu übertragen. Das führt zu guten und kreativen Ergebnissen, wenn Planende gut ausgebildet und bereit sind, diese Verantwortung zu tragen. Auch dafür bilden wir aus.

Volker Huckemann
Aus meiner Sicht könnten wir eine ganze Menge Normen vereinfachen oder wieder zurückfahren. Wir müssen unsere Erwartungshaltung an Gebäude und an unseren eigenen Komfort ein bisschen herunterschrauben. Zum Beispiel wurde bei der Sanierung einer 100 Jahre alten Grundschule das Fundament aufwändig verstärkt, um keinen einzigen Riss am Gebäude zuzulassen. In der Energiebilanzierung rechnen wir im Winter z.B. mit Innentemperaturen von 22/21°C – hier könnte man weniger ansetzen, wenn man weiß, dass jedes Grad Kelvin ca. 6% Energieeinsparung bringt. Die Normung versucht, jeden Sicherheitsaspekt abzudecken. Es darf nichts falsch laufen und nichts mehr fehlerhaft sein. Anstatt alles perfekt abzusichern, sollten wir akzeptieren, dass Gebäude gewisse Mängel haben können, die nicht zwangsläufig kritisch sind. Es ist eine Frage der Prioritäten und der Abwägung zwischen Sicherheit, Komfort und Ressourcenschonung.

Jutta Albus
In anderen Ländern wie England oder den Niederlanden sind die Anforderungen, wie zum Beispiel an den Schall- oder Brandschutz, oft geringer als in Deutschland. Wir haben hohe Ansprüche an unsere Wohnstandards, was Einfluss auf das Regelwerk im Bauwesen hat. Und das steht wiederum mit unseren Nachhaltigkeitszielen in Konflikt. Ich glaube, dass wir als Gesellschaft auch Abstriche zulassen müssen. In der Architektur der vergangenen Jahre ist die Tendenz zu einer neuen Einfachheit zu erkennen. Mit Blick auf die Zukunft ist es wichtig, dass bei der Gestaltung auch an die Umsetzbarkeit und Langlebigkeit gedacht wird, sowohl strukturell als auch im Betrieb. Diese Gedanken sollten sich in jedem Lehrthema und Fachgebiet niederschlagen, um ein ganzheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit zu fördern. Nachhaltigkeit im Bauwesen braucht Forschung. Sie alle haben auch Forschungsprojekte an der Hochschule Bochum initiiert. Frau Albus, was ist das Ziel Ihrer Forschung und wie werden sich die Ergebnisse auf Ihre Lehrtätigkeit auswirken?

Jutta Albus
Auch im Bereich der Forschung steht das Thema um eine ganzheitliche Architektur im Vordergrund. Durch eine hohe architektonische Qualität verlängern sich die Lebenszyklen von Gebäuden und die Nutzer*innenakzeptanz steigt. Ein Forschungsprojekt zielt darauf ab, durch modulares Bauen im Wohnungsbau eine höhere Nutzungsflexibilität und ökobilanzielle Verbesserungen zu erreichen. Wir 
arbeiten an einem reversiblen Hybridmodul, das materialtechnische Optimierungen sowie flexible Raumgestaltung ermöglicht und gleichzeitig die Integration von Haustechnik erleichtert. Ein weiteres Projekt, das wir in Zusammenarbeit mit der TU München durchführen, ist eine Quartiersentwicklung in der Nähe von Bamberg, die mikroklimatische Aspekte berücksichtigt und eine synergetische Architekturentwicklung anstrebt. Durch eine Verknüpfung von Wohnraum und Grünraum sowie landschaftsökologische Maßnahmen wollen wir die Lebensqualität der Nutzer*innen verbessern und gleichzeitig nachhaltige Prinzipien umsetzen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit nachhaltigen Materialien wie Lehm als Substitution für Gipskarton für nicht tragende Innenwände, um den Rückgang von Gips als Ressource auszugleichen. Wir erforschen die Herstellung von stranggepressten Lehmbausteinen in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Werkstoffe des Bauwesens der TU Dortmund und einem Lehmbauer, um ökologische Baupraktiken in die Lehre zu integrieren. Außerdem untersuchen wir Sanierungsmethoden für den Bestand des Deutschen Jugendherbergswerks, wobei wir minimale invasive Lösungen anstreben. In Kooperation mit der TU München und der Münchner Wohnen suchen wir nach Strategien, die eine einfache Umbaustrategie forcieren und gleichzeitig ökologische und haustechnische Aspekte berücksichtigen. Die Ergebnisse dieser Forschungen fließen direkt in unsere Lehrtätigkeit ein. Wir sensibilisieren die Studierenden für nachhaltige und innovative architektonische Lösungen und machen sie mit den neuesten Entwicklungen in der Bautechnologie vertraut.

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Herr Huckemann, in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (IBMB) der TU Braunschweig entwickeln Sie einen umweltfreundlicheren Beton. Konkret untersuchen Sie den Einsatz von CO2-reduziertem Beton beim Bau des Eingangs- und Ausstellungsbereichs des Freilichtmuseums Detmold, dem größten seiner Art in Deutschland. Welche Herausforderungen haben sich dabei gezeigt, und wie werden diese bewältigt?

Volker Huckemann
Beim Bau des Foyers des Freilichtmuseums Detmold war es unser Ziel, ökologische Materialien zu verwenden. Der Ausgangspunkt für die Entwicklung des CO2-reduzierten Betons war die Tatsache, dass wir in der Ökobilanz ein sehr nachhaltiges Gebäude mit Lehm, Holz und sogar Strohdämmung konzipiert hatten, viele statisch notwendige oder erdberührte Bauteile jedoch nur in Beton funktionierten – was unsere Bilanz deutlich verschlechterte. Also war es nur konsequent, den Beton zu optimieren. Neben der veränderten Betonrezeptur haben wir den Beton mit Hohlkörperdecken kombiniert, wodurch wir zusätzlich Material einsparen konnten. Die Herausforderung bestand darin, dass für den Beton eine Zustimmung im Einzelfall beantragt werden musste. Dazu kam, dass das Herstellungswerk seine gesamte Produktion für diesen ökologischen Beton umgestellt hat. Das ist ein großer Aufwand, um ein Pilotprojekt zu realisieren. Erfreulicherweise hat sich der LWL als Bauträger bereit erklärt, die Mehrkosten zu tragen. So konnten alle wesentlichen Betonbauteile des Projekts mit dem CO2-reduzierten Beton realisiert werden.

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Herr Maas, inwiefern lassen sich die Erkenntnisse aus Ihrer Forschung zu „Computergestützten Methoden für das Entwerfen von Tragkonstruktionen“ praktisch anwenden, um die Tragwerkplanung nachhaltiger zu gestalten?

Michael Maas
Das war mein Promotionsprojekt, bei dem der Fokus darauf lag, 
Architekturstudierenden Werkzeuge zur eigenständigen quantitativen Analyse und zum Entwurf von Tragstrukturen bereitzustellen. Es hat mich dazu veranlasst, die computergestützte Methode in der Tragwerklehre für Architekt*innen an der Hochschule Bochum zu etablieren. Wir arbeiten mit Finite-Elemente-Programmen, die es ermöglichen, komplexe Strukturen zu entwerfen und tragkonstruktiv zu bewerten. Lasten werden grafisch unterstützt aufgebracht. Wir können neben vielen anderen Aspekten Verformungen und Versagensmechanismen sichtbar machen. So werden Studierende in die Lage versetzt, die von Ihnen entworfenen Strukturen eigenständig zu bewerten und anzupassen. Dadurch können die gestalterischen und die nutzungstechnischen Ziele im Entwurf mit materialeffizienten, nachhaltigen Lösungen entwickelt werden. Seit zwei Jahren stelle ich die Abschlussaufgabe, ein Re-Use-Projekt im Bereich der Tragkonstruktionen zu entwerfen. Die Studierenden nutzen dafür vorhandene Querschnitte aus zurückgebauten Gebäuden, die computergestützt analysiert werden, um ihre Eignung und Tragfähigkeit zu bestimmen. Auch dadurch entwickeln die Architekturstudierenden ein tieferes Verständnis für die Tragwerkplanung und können so auch in der primären Tragstruktur Nachhaltigkeitsfragen berücksichtigen.

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Der Nachhaltigkeitsbegriff hat sich in den vergangenen Jahren von einem rein umweltorientierten Konzept zu einem ganzheitlichen Ansatz entwickelt, der ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte umfasst und zunehmend darauf abzielt, messbare Ergebnisse vergleichbar zu machen zum Beispiel über Zertifizierungen, LCA-Berechnungen und Ökobilanzen. Wie können Studierende mit diesen Themen vertraut gemacht werden?

Jutta Albus
Eine quantitative Beurteilung des nachhaltigen Bauens ist in fortgeschrittenen Semestern richtig angesiedelt. Es erfordert ein Grundverständnis und eine gewisse Reife im Architekturstudium. Meine Erfahrungen aus der Lehre zeigen, dass Studierende ab dem vierten Semester diese komplexen Themen eher erfassen können. Architektur ist ein breites Feld, das viele unterschiedliche Bereiche 
abdeckt. Eine Ausbildung zu Generalist*innen erfordert ein solides Fundament, bevor man sich auf spezifische Aspekte wie Ökobilanzen konzentriert.

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Welche Schwachstellen sehen Sie in den aktuellen Ansätzen zur Nachhaltigkeitsbewertung und -vermittlung in der Lehre? Wie können sie verbessert werden, um den tatsächlichen ökologischen Fußabdruck von Bauprojekten besser zu erfassen?

Volker Huckemann
Ich sehe eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Berücksichtigung der grauen Energie und der Ressourcen, die in Gebäude eingebaut werden. In Zukunft wird eine Ökobilanz für Neubauten unerlässlich sein, um das Gesamtbudget für die Klimaerwärmung einzuhalten. Eine mögliche Verbesserung besteht darin, das gesamte System transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten. Technologien wie BIM können hier einen positiven Beitrag leisten, indem sie den Fußabdruck bereits während der Planungsphase sichtbar machen. Das sind wichtige Aspekte, die wir unseren Studierenden vermitteln, um sie mit einem fundierten Verständnis für diese Themen auszustatten, sowohl in Bezug auf die Grundlagen als auch auf die aktuellen ökologischen Anforderungen an Architekturprojekte.

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Wie können Studierende auf den Dialog mit ihren Bauherr*innen vorbereitet werden, um sicherzustellen, dass deren Bedürfnisse und Wünsche mit den Nachhaltigkeitszielen in Einklang gebracht werden?

Michael Maas
Bauherr*innen sind hier die wichtigsten Player, da sie darüber entscheiden, welche Maßnahmen umgesetzt werden. Dabei müssen auch soziologische Aspekte berücksichtigt werden, insbesondere wenn es um Fragen der Suffizienz geht. Studierende müssen lernen, komplexe Nachhaltigkeitskonzepte verständlich zu kommunizieren und gleichzeitig kritisch zu hinterfragen. Und sie müssen sich bewusst machen, dass Nachhaltigkeit nicht allein technische, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Dimensionen umfasst.

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Wie unterscheidet sich die Herangehensweise an nachhaltiges Bauen in Deutschland im Vergleich zur internationalen Baubranche?

Jutta Albus
Deutschland nimmt im nachhaltigen Bauen eine Vorreiterrolle ein, insbesondere im Vergleich zu Ländern wie China und den USA, deren bautechnische Praktiken hinterherhinken. Es ist sehr enttäuschend zu sehen, dass es in China trotz des Booms in regenerativen Energien massive Umweltverschmutzungen gibt. Im Gegensatz dazu sind wir hier sehr weit. Trotzdem ist es wichtig, dass wir in Deutschland nicht nur den Anteil und die Einbindung regenerativer Energien an Gebäuden betrachten, sondern auch andere Bereiche des Bauens und der Nachhaltigkeit, wie z.B. eine hohe architektonische und gestalterische Qualität zugunsten von langen Nutzungszyklen sowie alternative Materialien und Baustoffe umfassender berücksichtigen.

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Auf der 28. Weltklimakonferenz von 2023 in Dubai wurde das Ziel, die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, noch einmal bestätigt. Deutschland verabschiedete während dieser Konferenz seine erste Klimaaußenpolitikstrategie, die darauf abzielt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65% zu reduzieren. Wie realistisch sind diese Ziele? Wie können wir als Gesellschaft und Sie in der Lehre dazu beitragen, dass diese ambitionierten Ziele erreicht werden?

Volker Huckemann
Realistisch betrachtet, können wir das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreichen. Deutschland kann zwar als Vorreiter in vielen Bereichen der Nachhaltigkeit gelten, aber wir können die Welt nicht allein retten. Es ist wichtig zu verstehen, dass etwa drei Milliarden Menschen weltweit immer noch in prekären Verhältnissen leben und einen höheren Lebensstandard anstreben. Das muss jetzt mit der Idee der Nachhaltigkeit zusammengebracht werden. Eine Schlüsselrolle liegt darin, unsere Technologien und unser Knowhow an andere Länder zu übertragen, ohne dabei bevormundend zu wirken. Gleichzeitig müssen wir unsere eigenen Standards überdenken und anpassen. Diese Herausforderung betrifft nicht nur technologische Innovationen, sondern auch eine grundlegende Veränderung unserer Denkweise und unseres Lebensstils. Es ist eine komplexe Aufgabe, bei der wir alle unseren Beitrag leisten müssen, auch indem wir unseren persönlichen Komfort überdenken und uns einschränken.

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Wie wird sich die Nachhaltigkeitsentwicklung in Architektur und Bauwesen in den nächsten zehn Jahren verändern?

Michael Maas
Im Moment sehen wir viel Greenwashing, und der Begriff der Nachhaltigkeit wird oft oberflächlich verwendet. Was ich mir wünsche, ist Ehrlichkeit und Klarheit in der Verwendung dieses Begriffs. Genauso wie eine kollektive Anstrengung, Greenwashing zu erkennen und zu bekämpfen. Meine Hoffnung ist, dass wir eine einheitliche Definition und Messgrößen für Nachhaltigkeit etablieren können, um gemeinsam Fortschritte zu erzielen.

Volker Huckemann
In den nächsten zehn Jahren werden die Ökobilanzierung und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Baubranche voraussichtlich zunehmen. Allerdings müssen wir uns besonders auf den vorhandenen Gebäudebestand konzentrieren, weil dieser einen großen Anteil am Energieverbrauch ausmacht. Früher lag der Schwerpunkt in der Lehre eher auf dem Neubau. Heute sehen wir die Notwendigkeit, uns intensiver mit der Bestandsanierung, Umnutzung und Ergänzung zu befassen. Deshalb rückt das Thema Umgang mit dem Bestand stärker in den Fokus aller Kolleg*innen. Eine Herausforderung dabei ist, dass die Industrie oft auf Neubau und Verkauf ausgerichtet ist, anstatt sich auf Reparatur und Wiederverwendung zu konzentrieren. Aber es gibt positive Ansätze wie zum Beispiel Cradle to Cradle, Re-Use und die Hinwendung zu einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Diese Ansätze gehen in die richtige Richtung und bieten optimistische Zukunftsperspektiven. Es ist ein großes Handlungsfeld, dem wir uns stellen müssen.

Jutta Albus
Die Entwicklung des Nachhaltigkeitsbegriffs in der Baubranche wird in den nächsten zehn Jahren von einem ganzheitlichen Ansatz geprägt sein. Es ist wichtig, nicht nur ökologische Aspekte zu betrachten, sondern auch wirtschaftliche und politische Faktoren einzubeziehen. Das erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren und ein Verständnis für die gegenseitigen Abhängigkeiten. Nur so können wir zukunftsfähig bleiben und positive Umweltwirkungen erzielen.

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Das deutet darauf hin, dass sich die Anforderungen an Absolvent*innen in den nächsten Jahren verändern. Wie können Studierende auf ein Nachhaltigkeitsverständnis vorbereitet werden, das sich stetig wandelt?

Volker Huckemann
Die Studierenden bringen heute bereits ein ausgeprägtes Bewusstsein für Nachhaltigkeit mit, welches sie selbst antreibt. Es ist deswegen nicht erforderlich, sie besonders zu sensibilisieren. Trotzdem sollten sie im Studium die Möglichkeit haben, sich mit Themen wie dem zirkulären Bauen und der Arbeit im Bestand auseinanderzusetzen, um sich auf die Herausforderungen des realen Arbeitslebens vorzubereiten. Ich bin optimistisch, dass die nächste Generation von Studierenden uns herausfordern wird und einen positiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leistet.

 

Dr.-Ing. Jutta Albus ist Professorin für Entwerfen und Konstruktieren. Nachhaltiges Bauen am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Inhaberin von Jutta Albus Architektur in Köln/Leverkusen.

 

Volker Huckemann ist Professor für Bauphysik und Energieeffizientes Bauen und Prodekan am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Inhaber des Architekturbüros Huckemann
in Salzkotten.

 

Dr.-Ing. Michael Maas ist Professor für Tragwerklehre und konstruktives Entwerfen am Fachbereich Architektur an der Hochschule Bochum und Inhaber von maasingenieure in Werl.

  • Baukonstruktion 3
    Prof. Dr.-Ing. Jutta Albus

    Eco-Friendly Living
    2024, Jesper Lindemann, 
Julian Mentz

  • Tragkonstruktion 
im Hochbau
    Prof. Dr.-Ing. Michael Maas

    Überdachung Campus 
Bochum
    2024, Oscar Makoto Prasuhn

  • Baukonstruktion 3
    Prof. Dr.-Ing. Jutta Albus

    Eco-friendly Living
    2024, Marc Freericks, 
Konstantin Heinemann, 
Nils Heinze