Pawel Patyna, Mehmet Turgut, Sefa Yazar im Gespräch mit Prof. Katharina Feldhusen, Prof. Andreas Fritzen und Prof. André Habermann
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Wie sehen Sie die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) im Bildungsbereich und welche
Herausforderungen und Chancen ergeben sich daraus für die Lehre und das Lernen?
André Habermann
Vieles bleibt heute noch spekulativ, doch die Rolle der Künstlichen Intelligenz im Bildungsbereich wird immer bedeutender. Wir beginnen, das enorme Potenzial und die tiefgreifenden Veränderungen, die in unserem Berufsfeld bevorstehen, zu erkennen. Wir müssen uns auf diese Entwicklungen vorbereiten, gleichzeitig holen sie uns bereits ein. Dies betrifft uns alle – Lehrende wie Studierende. Wenn überhaupt, haben wir als Lehrende nur einen geringen Vorsprung, den wir nutzen und weitergeben können. Derzeit erkunden wir diese Methoden noch auf eine eher spielerische Weise. Da es sich um einen dynamischen Prozess handelt, bin ich mir unsicher, ob wir schon definitive Antworten geben können. Es bedarf Neugier und Offenheit, um die Möglichkeiten dieser Technologien gemeinsam zu erkunden. Es entwickelt sich ein weiteres Werkzeug, das uns in der Architektur zur Verfügung steht.
Katharina Feldhusen
Ich stimme Dir zu, dass die Künstliche Intelligenz eine weitere Methode ist. Zeichnen und Modellieren mit CAD sind genauso wie der physische Modellbau und vieles andere Methoden des Entwerfens – die Künstliche Intelligenz kommt jetzt hinzu. Entscheidend wird dabei die Bewertung der Ergebnisse, die die KI liefert. André, Du hast das kürzlich in deinem Symposiumsvortrag so prägnant formuliert: Letztendlich geht es darum, ob ein gutes Gebäude entsteht, wenn wir Künstliche Intelligenz einsetzen. Für die Lehre bedeutet das, dass wir die Studierenden in ihren Analysefähigkeiten stärken müssen, um sie für den Umgang mit KI zu qualifizieren. Das ist für mich ein zentrales Thema.
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Angesichts der zunehmenden Präsenz von Künstlicher Intelligenz stellt sich die Frage nach der Bedeutung des klassischen Wissens und der praktischen Erfahrungen. Wie können diese beiden Aspekte miteinander verbunden werden, um den Entwurfsprozess effektiver zu gestalten und die Herausforderungen der Zukunft zu meistern?
André Habermann
Mit Text-zu-Bild-Generatoren wie DALL-E oder Midjourney können wir visuelle Impressionen erzeugen, die uns als Inspirationsquelle für den Entwurfsprozess dienen. Diese Technologie kann als Ergänzung zur klassischen Recherche betrachtet werden, bei der wir die gewonnenen Inspirationen durch präzise Beschreibungen gezielter steuern können. Bisher haben wir uns in der Architektur immer an gebauten Vorbildern, Haltungen und Persönlichkeiten orientiert. Wir kannten die Architekt*innen, ihren Werdegang, ihre Grundlagen und die Zeit, in der die Bauten entstanden sind. Durch die KI entstehen Entwurfsvarianten, deren Ursprung und Zusammenhang uns unbekannt ist. Wie Du, Katharina, richtig hervorhebst, ist es essenziell, Kriterien für ihre Bewertung zu entwickeln. Ein tiefgehendes Verständnis von Baukultur, Architekturtheorie und -geschichte ist unerlässlich, um die Eignung eines Entwurfs im Kontext sozialer, kultureller, räumlicher und historischer Gegebenheiten zu beurteilen. Dieses Wissen sollte meiner Meinung nach wieder stärker in den Fokus der Ausbildung gerückt werden. Also ein noch größeres Wissen über unser baukulturelles Erbe und in welchem Kontext es entstanden ist.
Katharina Feldhusen
Genau, diese Ansicht teile ich. Darüber hinaus denke ich, dass analytische Fähigkeiten auch durch das praktische Entwerfen entwickelt werden. Durch das Entwerfen werden nicht nur Erfahrungen gesammelt, sondern auch methodische Kenntnisse erworben. Im Entwurfsprozess wird das eigene Handeln ständig reflektiert: Welche Anforderungen werden an den Entwurf gestellt? Welche Idee, welches Konzept verfolge ich? An welcher Stelle ist der Entwurf bereits gut? Was betrachte ich kritisch? Das ist analytisches Handeln. Entwerfen ist also ein fortlaufender Prozess, der auf zwei Ebenen stattfindet: auf der Ebene des Gestaltens, des „Machens“ und auf der Ebene der intellektuellen Auseinandersetzung. Ich bin der Überzeugung, dass beim Entwerfen ein Verständnis für diesen Prozess essenziell ist – unabhängig davon, mit welchen Methoden ich bevorzugt arbeite.
André Habermann
Einerseits ermöglicht die Künstliche Intelligenz eine eher spielerische Erkundung von Entwurfsvarianten, andererseits eröffnen sich schon sehr konkrete Anwendungsmöglichkeiten, insbesondere im Städtebau. Hierbei kann KI beispielsweise bei der Identifizierung von Verdichtungspotenzialen und der Auffindung freier Grundstücke eingesetzt werden. Besonders beim Sortieren und Bewerten großer Datenmengen erweist sich die KI als äußerst nützlich. Sie kann entscheidende Unterstützung bieten bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen wie Migrationsprobleme, die Anpassung an klimatische Veränderungen und die Integration neuer Mobilitätskonzepte. Die Hoffnung liegt darin, dass KI uns nicht ersetzt, sondern ein wertvolles Werkzeug darstellt, um diese komplexen Fragen effektiver zu adressieren und datenunterstützt Lösungsmöglichkeiten zu finden.
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In Anbetracht der zunehmenden Integration von Künstlicher Intelligenz im Städtebau: Welche Auswirkungen, Herausforderungen und Chancen ergeben sich durch diesen Trend für die Planung und Gestaltung von Städten?
Andreas Fritzen
Heute schon und in naher Zukunft umso mehr werden wir neue Tools nutzen können, um unsere Arbeitsweise zu verändern. Ich erinnere mich an meine Studienzeit, als CAD eingeführt wurde. Viele befürchteten damals, dass wir demnächst nicht mehr wüssten, wie man mit einem Bleistift zeichnet und ob wir überhaupt noch entwerfen könnten. Im Nachhinein stellen wir jedoch fest, dass wir heute genauso gut oder besser entwerfen können, wir verwenden nur ein anderes Werkzeug. Ich glaube, der Einfluss von KI wird in ein paar Jahren umfänglich aber selbstverständlich sein. Aber wir müssen KI-basierte Anwendungen natürlich mit Werten hinterlegen und beurteilen. Meine Arbeit als Stadtplaner hat sich schon geändert. Aber auch die Stadt selbst wird sich massiv verändern, da die Stadt plötzlich als Datenmenge genutzt werden kann. Das ist neu für uns. Früher ging man zum Katasteramt, um Pläne anzusehen. Dann wurden die Daten digitalisiert, und es entstand die Idee des Geografischen Informationssystems, Raumdaten mit zusätzlichen Daten zu verknüpfen. In der Stadtplanung nutzen wir zweidimensionale Ebenen oder dreidimensionale Räume und eine Vielzahl von Daten wie Einwohnerzahlen, Grundstückspreise, Dichten, Freiraum und Klima. Die Möglichkeit, diese Daten sehr schnell auszulesen und komplex einzusetzen, wird es verstärkt in naher Zeit geben. Dies fällt unter den Begriff der Smart City, und die ersten Smart Cities werden bereits als Prototypen gebaut, hauptsächlich in Japan und den USA. Große Unternehmen, die daran gewöhnt sind, mit großen Datenmengen umzugehen, beginnen, sich mit diesem Thema zu befassen und zu überlegen, wie sie mit diesen Daten handeln können. Es geht darum, wie man sie wirtschaftlich nutzen kann, aber auch um die Planungen sozialer und umweltverträglicher zu gestalten. Meiner Meinung nach werden wir KI in unseren Städte demnächst nutzen können, um auf Herausforderungen wie den Klimawandel, räumliche Konflikte und soziale Ungerechtigkeit datenbasiert besser reagieren zu können. Das macht die Zukunft sehr aufregend. Ich glaube, die Stadt in 20 Jahren wird ein ganz anderer Ort sein als heute.
André Habermann
Dies gilt ebenfalls für unsere Projekte und Bauten. Wir sind bereits mit großen Datenmengen konfrontiert, die wir kaum vollständig beherrschen können. Bei der Erstellung eines Entwurfs müssen wir nicht nur ein Raumprogramm entwickeln und die Wünsche der Nutzer*innen berücksichtigen, sondern auch strengen Nachhaltigkeitskriterien gerecht werden. Es ist entscheidend, den CO2-Fußabdruck jedes verwendeten Materials zu kennen und die langfristigen Auswirkungen seiner Nutzung über Jahrzehnte hinweg zu verstehen. Dies erfordert eine gründliche Auseinandersetzung mit umfangreichen Datensätzen. Künstliche Intelligenz kann uns dabei unterstützen, indem sie parallel zum Entwurfsprozess wichtige Informationen über Umweltauswirkungen bereitstellt, was unsere Entscheidungsfindung erheblich erleichtern wird. Allerdings müssen wir darauf achten, dass Daten, die durch KI generiert werden, nicht zur alleinigen Entscheidungsgrundlage für die Bewertung von Architekturentwürfen werden
Katharina Feldhusen
Bei den Nachhaltigkeitskriterien sind die zahlenbasierten, quantifizierbaren Aspekte auch erst einmal im Vorteil: Mathematisch berechenbare Faktoren wie Berechnungen von Energieverbräuchen während der Erstellung und des Betriebs, die ordnungsgemäße Trennbarkeit und spätere Wiederverwendbarkeit der Materialien und ähnliche Themen lassen sich gut in Zahlen abbilden. Deren Einbeziehung in unsere Arbeit ist seit langem selbstverständlich. Daneben ist es aber gerade unsere Aufgabe als Architekt*innen, das Haus ganzheitlich zu betrachten und zu vermitteln, dass es einer übergeordneten Idee bedarf. Am Ende muss ein Gebäude nicht nur funktionalen und technischen Anforderungen entsprechen, sondern auch soziale und ästhetische Aspekte integrieren – Architektur wird für den Gebrauch durch Menschen geschaffen. Es ist eine wichtige Frage, ob diese Themen bei Nachhaltigkeitskriterien von Organisationen wie der DGNB oder BNB ausreichend abgebildet sind – zumal sie eben nicht quantifizierbar sind.
Andreas Fritzen
Vereinfacht könnte man sagen, dass die komplexen Systeme, mit denen wir arbeiten, also Städte, Regionen oder Ökosysteme, so entwickelt werden sollen, dass sie unserem eigenen Wohl dienen, oder? Schönheit ist deshalb interessant, weil sie uns guttut. Beim Umweltschutz müssen wir uns eingestehen, dass wir ihn nicht zum Wohl der Umwelt betreiben, sondern zum eigenen Wohl. Wir streben nach einer Welt, in der zehn Milliarden Menschen möglichst sozial gerecht, friedlich und dauerhaft leben können. Am Ende ist es die soziale Nachhaltigkeit, nach der wir streben und das wird auch die KI nicht ändern. Die Werte, mit denen wir an die durch KI veränderte Architektur und Stadtplanung herangehen, werden meines Erachtens ähnlich bleiben. Wir suchen nach sozialer Gerechtigkeit, nach Förderung benachteiligter Menschen nach Mitbestimmung, nach Freiheit, nach Glück, Liebe und Sinnhaftigkeit. Wir investieren in Bildung, weil wir glauben, dass dies uns besonders guttut. Und wir vernachlässigen nicht das Gestalterische. Wir wissen, dass sowohl ein schönes Umfeld als auch ein schönes Objekt eine Bereicherung des Lebens darstellen. Diese Ebenen werden stabil bleiben.
André Habermann
Ja, bestimmte Grundlagen und Werte bleiben beständig. Doch in der Architektur wird es zunehmend schwieriger, gegenüber Bauherr*innen Aspekte wie Schönheit und Raumqualität zu vertreten, je stärker diese durch quantifizierbare, datenbasierte Elemente überlagert werden. Daher sollten wir in der Ausbildung verstärkt darauf hinarbeiten, diese kommunikativen Fähigkeiten zu entwickeln. Es ist entscheidend, dass wir die Studierenden dazu befähigen, Raum nicht nur zu verstehen, sondern auch dessen Qualitäten klar zu beschreiben und zu kommunizieren. Einerseits haben wir datenbasierte Informationen, die sich in Zahlen und Rankings ausdrücken lassen, andererseits gibt es wichtige, schwer quantifizierbare Faktoren, die sich nicht einfach in Zahlen fassen lassen. So hängt zum Beispiel die Langlebigkeit unserer Bauwerke unter anderem von den verwendeten Materialien und Konstruktionen ab – Faktoren, die sich relativ einfach datenbasiert quantifizieren lassen. Jedoch wird die Langlebigkeit unserer Gebäude auch wesentlich von der Akzeptanz der Nutzer beeinflusst, die vor allem durch die räumliche und ästhetische Qualität sowie möglicherweise durch die strukturelle Anpassungsfähigkeit bestimmt wird. Diese Aspekte sind deutlich schwieriger in Daten zu erfassen.
Katharina Feldhusen
Unsere primäre Verantwortung besteht darin, die Methoden der Quantifizierung zu beherrschen, auch wenn die Werkzeuge zur Datenerfassung und -analyse oft nicht von Architekt*innen entwickelt werden. Die Herausforderung besteht darin, diese Werkzeuge in unsere Arbeit zu integrieren, ohne die Verantwortung für die architektonische Gestaltung zu vernachlässigen. Die Tatsache, dass die technischen Werkzeuge häufig durch externe Fachleute entwickelt werden, unterstreicht nur die Notwendigkeit für Architekt*innen, sich aktiv in diese Prozesse einzubringen, um sicherzustellen, dass andere uns wesentlich erscheinende Aspekte nicht vernachlässigt werden.
André Habermann
Im Wesentlichen geht es um zwei zentrale Punkte. Erstens, was wir als Architekt*innen selbst beherrschen und als Lehrende im Studium vermitteln müssen. Ein Verständnis von Raumwirkung und ästhetischen Prinzipien spielen bei unserer Qualifikation eine große Rolle. Zweitens, unsere Interaktion mit Bauherr*innen. Bei privaten Bauherr*innen ist es oft einfacher, sie für diese Themen zu gewinnen. Bei Gemeinden oder Verwaltungen jedoch, die ihre Entscheidungen politisch rechtfertigen müssen, überwiegen schnell zahlenbasierte Argumente. Es ist entscheidend, dass wir aufmerksam bleiben und kontinuierlich die Kriterien kommunizieren, die sowohl für uns als auch für die Gesellschaft von Bedeutung sind.
Andreas Fritzen
Wir müssen den Fokus auf unsere menschlichen Bedürfnisse sowohl in der Stadt als auch in der Architektur stärker betonen. Es geht um Fragen wie: Wie leben wir zusammen? Was möchten wir tun? Welche Erwartungen haben wir an den Schutz und den Komfort des Raums? Diese Aspekte vermitteln wir seit Langem, und ich glaube, dass sich daran nicht so viel ändern wird, es sei denn, wir tauchen plötzlich in diese andere, digitale Welt ein. In den Städten passiert das gerade. Die Städte beginnen verstärkt räumliche, digitale Zwillinge zu entwickeln und ich befürchte, dass unser Leben sich noch stärker in diese digitale Welt verlagern wird als bisher. Das finde ich bedauerlich, weil ich an unserer realen Welt so hänge.
André Habermann
Kürzlich fanden bei uns Vorträge zur Gebäude- und Anlagentechnik statt, bei denen insbesondere die technischen Möglichkeiten von digitalen Zwillingen unserer Gebäude thematisiert wurden. Der Fokus lag dabei stark auf Daten und deren Auswertungen. Auffällig war, dass die menschliche Perspektive, insbesondere das Wohlergehen der Menschen, dabei kaum eine Rolle spielte.
Andreas Fritzen
Genau das erlebe ich auch. In dem Moment, wo das passiert, verliert man das eigentliche Ziel aus dem Auge. Wir sparen dann zwar Energie, aber
kapieren gar nicht mehr, für wen.
André Habermann
Vielleicht sollten wir den Fokus des Gesprächs noch einmal auf das Studium legen und diskutieren, wie wir mit den Studierenden interagieren. Mich interessiert besonders, wie wir Lehrenden in die kreativen Prozesse eingebunden sind. Meiner Meinung nach verändert die Künstliche Intelligenz unseren grundlegenden Ansatz nicht. Die Betreuung von Entwurfsprojekten sehe ich als Spiegelbild unserer Arbeitsweise im Büro: Wir sitzen mit den Studierenden zusammen, begleiten sie auf einem Teil ihres Weges, diskutieren Ideen und treiben Projekte voran. Dabei üben und trainieren wir gemeinsam das Entwerfen und die Entscheidungsfindung. Bisher blieb meine Betreuung von Entwürfen unverändert, ohne direkten Einfluss der KI. Kürzlich setzten wir KI jedoch ein, um erste Impressionen für einen aktuellen Entwurf zu generieren. Unsere Methode der Entwurfsbetreuung bleibt die gleiche, jedoch wird KI als ergänzendes Werkzeug integriert. Wir nutzten KI auch, um Nutzungsszenarien durchzuspielen, was sehr aufschlussreich war. Dabei kamen Aspekte zur Sprache, die möglicherweise ohne KI unberücksichtigt geblieben wären. Dies zeigt, dass KI ein nützliches Werkzeug sein kann. Dennoch müssen wir die von der KI generierten Ergebnisse stets kritisch hinterfragen: Bereichern sie den Ort? Tragen sie zur Weiterentwicklung des Quartiers bei? Wie wirkt das Gebäude auf sein Umfeld? Diese grundlegenden Fragen bleiben gleich. Vielleicht erweitert KI die Bandbreite der Antworten, aber nicht die Diskussion selbst.
Andreas Fritzen
Es gibt diese wunderbare Idee von Sinnhaftigkeit, oder auf Englisch, Purpose. Das scheint mir reizvoll auf den Städtebau zu übertragen. Es gibt jetzt KI-Programme, die die Bebaubarkeit einzelner Grundstücke optimieren. Früher war es eine mühsame Aufgabe, die Gebäude-Kubatur so zu gestalten, dass sie optimal zum Baurecht passt. Mittlerweile genügt ein Knopfdruck, und das Programm präsentiert mir tausend Bebauungsmöglichkeiten. Von diesen erfüllen vielleicht 100 die zulässige BGF. Weitere 300 erfüllen sie optimal zu 99%, und nochmal 600 zu 88%. Nun kann ich auswählen. Aber die Sinnhaftigkeit von städtischer Bebauung, nämlich Lebensräume für Menschen zu schaffen, Begegnungsmöglichkeiten zu fördern, Austausch und Mobilität effizient und angenehm zu gestalten, wird damit noch nicht beantwortet. Ich glaube, dass unsere Arbeitsweise noch einmal genauso stark umgekrempelt wird wie durch die Einführung von CAD. Damals war ich überrascht von der Geschwindigkeit. In jedem Planungsteam gab es zahlreiche Bauzeichner*innen, die nichts anderes taten als zu zeichnen. Mit der CAD-Einführung konnten aber alle Teammitglieder sehr einfach selbst zeichnen. Ich denke, dass KI eine Menge Arbeit einsparen und vereinfachen wird. Aber ich bin überzeugt, dass unsere Aufgabe in der Lehre weiterhin darin besteht, die Sinnhaftigkeit mit allen zu diskutieren und neue Ansätze zu entwickeln. In dieser Diskussion sehe ich eine kontinuierliche Fortführung.
Katharina Feldhusen
Der Umgang mit KI-generierten Bildern wird dabei eine Rolle spielen – das ist neu, andererseits aber auch dem nun schon seit Jahren üblichen Umgang mit Plattformen wie Pinterest ähnlich – hier kommt bereits eine rudimentäre Form von künstlicher Intelligenz zum Einsatz. Nutzer*innen geben ein Stichwort ein, woraufhin eine Vielzahl von Bildern angezeigt wird. Diese werden durchgescrollt, einige ausgewählt, die dann als Inspiration dienen. In den Feedbacks diskutieren wir mit den Studierenden darüber, was genau sie an einem Bild anspricht und wie es sich auf ihr Projekt bezieht – wir fordern sie auf, die eigene Auswahl zu reflektieren und zu analysieren. Selbst Bilder real existierender Projekte zeigen nur einen Ausschnitt, eine bestimmte Situation, einen definierten Blickwinkel. Auf Exkursionen stellen wir fest, dass unsere Erwartung und die Realität manchmal auseinanderklaffen. Ein Projekt, das nur von Bildern und Plänen bekannt war, stellt sich in der Realität großartiger dar – oder erfüllt die Erwartungen nicht. Das ist eine wichtige Lernerfahrung – Bilder sind immer nur ein kleiner Ausschnitt, die Realität ist ungleich komplexer. Analysefähigkeit ist für unseren Beruf unabdingbar und wird in Zukunft noch wichtiger.
André Habermann
Die Parallele, die Andreas zum Übergang vom Handzeichnen zum CAD gezogen hat, wurde auch von mir während des letzten AMM-Symposiums thematisiert. Die Statistiken der Architektenkammer zeigen, dass die Anzahl der Planer*innen in Deutschland trotz der deutlichen Vereinfachungen, die CAD mit sich gebracht hat, stetig gestiegen ist – auch während des Zeitraums der Umstellung. Dagegen ist die Zahl der reinen Bauzeichner*innen in den Architekturbüros seit der Einführung von CAD deutlich rückläufig. Dies unterstreicht, dass wir auf die beste Ausbildung und höchste Qualifikation setzen müssen, um auch künftig resilient gegenüber Veränderungen wie der Integration von KI in unsere Berufswelt zu bleiben. Es erfordert ein kontinuierliches Lernen, um mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Letztendlich reicht das Studium allein nicht aus, um am Puls der Zeit zu bleiben, doch diese Realität besteht bereits und ist nichts Neues.
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Um das vielleicht noch einmal zu betonen: In der Vergangenheit sind die Bauzeichner*innen weniger geworden, da sie nicht mehr als unentbehrlich galten. Heißt das nun, dass in naher Zukunft auch die Zahl der Architekt*innen schwinden wird?
André Habermann
Die Arbeitsfelder werden sich zweifellos verlagern. Es wird sicherlich Aufgaben geben, die KI wahrscheinlich zu 100% übernehmen kann. Zum Beispiel könnte sie in Sekundenschnelle den Wärmedurchgangskoeffizienten an einer Fassade berechnen und die optimalen Materialien sowie ihre Anordnung ermitteln. Aspekte wie die Integration von sozialen und ethischen Fragen in die Architektur, Raumqualitäten und die Integration in bestehende Strukturen scheinen Themen zu sein, die von einer KI nicht so einfach bearbeitet werden können. Die KI stützt sich auf Algorithmen und Daten, was bedeutet, dass die menschliche Kreativität, Intuition und Empathie schwer zu replizieren sind. Die emotionale Resonanz eines Raumes oder die subtile Anpassung in gewachsene Strukturen, Orte und Städte erfordern ein Verständnis, das über die reine Datenanalyse hinausgeht. Ich bin da sehr optimistisch: Wir müssen lernen, die Vorteile und Möglichkeiten der KI in unsere Alltagswelt und hier im Speziellen in unser Studium zu integrieren. Dies kritisch aber mit Lust und Experimentierfreude. Dabei dürfen wir nicht vergessen, was uns als Menschen und als sehr individuell geprägte und begabte Kreative ausmacht: die Wahrnehmung und Erfahrung mit allen Sinnen und manchmal auch das Zelebrieren von vermeintlichen Widersprüchlichkeiten, um Besonderes zu erdenken.
Andreas Fritzen
Ich bin optimistisch, dass KI die nötige Transformation
beschleunigen wird. Wenn wir wieder auf die ursprüngliche Frage zurückkommen, dann könnte KI dazu beitragen, die Veränderungsprozesse zu beschleunigen. Besonders im Hinblick auf Themen wie Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit, weltweite Bevölkerungsentwicklung stellen wir fest, dass es einen erheblichen Druck zur Veränderung gibt. Im Moment sind wir im Bereich Stadtplanung nicht schnell genug in der Umsetzung. Die erforderlichen Prozesse, um Städte beispielsweise klimagerecht umzubauen, sind mit den derzeitigen Mitteln zu langsam. KI könnte dazu beitragen, den Transformationsprozess zu beschleunigen, insbesondere wenn sie beispielsweise in der Verwaltung oder der Mobilitätswende eingesetzt wird. Ein konkretes Beispiel ist die Prüfung von Bauanträgen, die derzeit noch von Hand durchgeführt wird. Viele gehen davon aus, dass sich dieser Prozess in den kommenden Jahren digitalisieren lässt und mit KI-Unterstützung die Genehmigungsfähigkeit von Projekten deutlich beschleunigt werden kann.
André Habermann
Insbesondere im Verwaltungsbereich spüren wir bereits einen deutlichen Arbeitskräftemangel. Dies führt zu Verzögerungen bei der Bearbeitung von Bauanträgen und hemmt den Fortschritt, da schlichtweg nicht genügend Personal vorhanden ist. In diesem Kontext würde der Einsatz von KI nicht Arbeitsplätze ersetzen, sondern vielmehr dringend benötigte Unterstützung leisten.
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Könnten Sie Ihre persönliche Vision für die künftige Rolle von Künstlicher Intelligenz im Bereich Architektur und Stadtplanung teilen und wie Sie glauben, dass sie die Gestaltung unserer Städte und Lebensräume beeinflussen wird?
Katharina Feldhusen
Der Stadtumbau, der Umbau unseres Gebäudebestands und die Neuausrichtung der Technologien des Bauen erfordern angesichts des Klimawandels ein großes Tempo. Hier ist in den vergangenen Jahren wirklich etwas in Bewegung gekommen, aber es bleibt die Notwendigkeit, das Tempo zu erhöhen und die Aktivitäten zu verdichten. Hier sehe ich die künstliche Intelligenz als eine Chance. Die Hoffnung wäre, dass KI in der Planung dabei unterstützen kann, neue Erkenntnisse und neue Technologien schneller und besser zu integrieren, indem sie bereits in der Planung Informationen liefert, die ohne die Auswertung einer wachsenden Datenbasis nicht zur Verfügung stünden.
André Habermann
Die Dringlichkeit, schneller zu handeln, steht außer Frage. Angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel müssen wir rasch reagieren, um überhaupt eine Chance zu haben, diesen zu bewältigen. Künstliche Intelligenz könnte dabei den notwendigen Innovationsschub liefern.
Andreas Fritzen
Ich bin überzeugt, dass KI eine wertvolle Unterstützung sein kann, wenn wir sie sinnvoll einsetzen. Technische Innovationen und gesellschaftliche Veränderungsprozesse gehen oft Hand in Hand. Dies lässt sich besonders gut im Städtebau nachvollziehen. In der Gründerzeit, als die Städte rasant expandierten, traten technische Innovationen genau zum richtigen Zeitpunkt auf: die Dampfmaschine, die Eisenbahn, das elektrische Licht, fließendes Wasser und Abwasser usw. Das lässt sich auf heute übertragen. Die Einführung von KI geschieht zu einem Zeitpunkt, der für uns Menschen hoffentlich passend ist. Obwohl wir stets auf die damit verbundenen Probleme und ethischen Fragen hinweisen sollten, finde ich das Bild hilfreich, dass diese Technologie nun zu unserer Zeit passt.
Katharina Feldhusen ist Professorin für Entwerfen am Fachbereich Architektur an der Hochschule Bochum und Gründungspartnerin von ff-architekten, Feldhusen und Fleckenstein in Berlin.
Andreas Fritzen ist Professor für Städtebau und Entwerfen am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Architekt und Stadtplaner in Köln.
André Habermann ist Professor für Entwerfen und Gebäudelehre und Dekan am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Gründungspartner von Habermann Decker Architekten in Lemgo.
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Bachelorthesis
Prof. André HabermannMadonna del Monte
2023, Simon Hölter -
Master AMM
Prof. Jan R. Krause17. AMM-Symposium
Künstliche Intelligenz in Architektur und Kommunikation
2024 -
Bachelorthesis
Prof. Gernot SchulzWie viel ist weniger? Eine, unter Verwendung von KI-Werkzeugen erstellte, Forschungsarbeit über das Nachhaltigkeitspotenzial neuer Wohnbautypologien
2024, Mohamad Alkalti -
Städtebau
Prof. Andreas FritzenEuropan 17 New Perspectives Borkum (Europan-Wettbewerb, Lobende Erwähnung)
2023, Bianca Belz, Fabian Bomke, Alex Göbels, Nicholas Jochum -
Grundlagen des Entwerfens
Prof. Katharina FeldhusenAnkommen. Herberge Landschaftspark Duisburg
2024, Lena Dolle