Die Wiederentdeckung der Nähe: Architektur-Exkursion über den eigenen Schreibtisch im Provisorium
Astrid Bornheim Architektur, Berlin (Photo: Kay Fingerle)
Wie gelingt Architekturkommunikation?

Ein Gespräch über Kommunikation als Bestandteil der Entwurfsarbeit, Gesten, Medienflut und Film als Wirklichkeitsdestillat.

Ein Gespräch mit:
Prof. Dr. Andrea Mohnert (AM)
Prof. Jan R. Krause (JK)
Prof. hon. Dr. Claus Pfingsten (CP)

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Frau Mohnert, Sie sind Diplompsychologin und Professorin für Kommunikation in der Architektur. Welche Besonderheiten fallen Ihnen auf, wenn Architekt*innen untereinander kommunizieren?

AM

Wenn Fachleute miteinander sprechen, haben sie einen gemeinsamen Hintergrund: in ihrer Ausbildung, in ihrer Erfahrung, in ihrem professionellen Tun. Das führt grundsätzlich dazu, dass man untereinander weniger erklärt – was natürlich auch andere Fachgruppen betrifft. In der Architektur kommt etwas Besonderes hinzu: die Bildsprache, die man braucht, um Architektur zu entwickeln, in Form verschiedener Visualisierungen. Aber auch die gesprochene Sprache ist besonders bildreich, wenn es um die Beschreibung von Formen, Körpern oder Bewegung geht, werden Analogien aus allen Lebensbereichen genutzt. Ein sehr interessantes Phänomen sind Anthropomorphismen, bei denen menschliche Eigenschaften auf Gebäude übertragen werden, die z.B. „eine Geste“ machen. Das ist eine Beson­derheit in der Sprache von Architekt*innen.

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Was ändert sich, wenn Architekt*innen sich an fachfremde Personen richten?

AM

Die spezifische Sprache wird in der Ausbildung gelernt und dann routiniert genutzt. Im Gespräch mit Fachfremden wäre es sehr hilfreich, wenn man rückübersetzen würde, wenn man wieder mehr erklärt und auch zu Darstellungen greift, wie Per­spektiven oder Renderings, die von Nichtfachleuten leichter verstanden werden. Ob Nichtverstehen oder Missverständnisse erkannt werden, hängt davon ab, wie sensibel ein Profi in der jeweiligen Situation ist. Es besteht immer die Gefahr, dass die Unterschiede im Wissen und Denken in Vergessenheit geraten. Dann könnte ein Bauherr, mit dem man spricht, etwas ratlos zurückbleiben.

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Sie tragen einen großen Teil dazu bei, Architekturstudierende dafür zu sensibilisieren. Im Masterstudiengang Architektur Media Management lehren Sie „Zielgruppenorientierte Kommunikation“. Wie bereiten Sie die Studierenden darauf vor, im Berufsleben unterschiedliche Zielgruppen mit Architekturthemen zu erreichen?

AM

Es geht darum, Verständigung zu erreichen oder auch zu überzeugen. Unsere Stu­dierenden müssen sich bewusstmachen, dass die andere Seite in der Regel nicht die gleichen Kenntnisse und Voraussetzungen hat, wie man selbst. Sie sol­len die Fähigkeit für einen Perspektivwechsel erlernen und sich bewahren.

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Wie bereiten Sie sie auf diesen Perspektivwechsel vor?

AM

Wir brauchen dazu Informationen. Ich kann antizipieren: Wer steht mir gegenüber, wen will ich ansprechen. Ich stelle mir vor, wer das ist, denke darüber nach, welche Erfahrungen ich mit der Zielgruppe habe. Ein anderer Zugang besteht in der sys­tematischen Untersuchung anhand von Recherchen oder Datenerhebung: Welche Merkmale kennzeichnen die Zielgruppe? Welche Kenntnisse sind vorhanden? Welche Interessen, Einstellungen und Prioritäten liegen vor? Wie sind die Lebensumstände? Auf diese Weise können wir Anknüpfungspunkte entwickeln und unsere Informationen und Argumente auf die Zielgruppe ausrichten.

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Wo oder wie erreichen Architekten ihre Zielgruppen?

AM

Da kommen die Medien ins Spiel. Welches Medium ist besonders geeignet oder welche Rahmenbedingungen sind erforderlich, um die Zielgruppe störungsfrei und bei voller Konzentration zu erreichen? All das erarbeiten wir systematisch, theoriegestützt und mit praktischen Übungen. Ideal ist es natürlich, wenn nicht nur die Kommunikation zielgruppenorientiert erfolgt, sondern auch das Produkt – also die Architektur – an den Bedürfnissen der Zielgruppe ausgerichtet ist.

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Sie lehren an der Hochschule Bochum nicht nur im Masterstudiengang, sondern auch im Bachelorstudium Kommunikation in der Praxis. Hier lehren sie das Fach „Präsentation, Moderation, Verhandlungsführung“. Wofür stehen die drei Begriffe im architektonischen Kontext?

AM

Diese Begriffe stehen für unterschiedliche kommunikative Situationen. Präsen­tation bedeutet, einen architekturbezogenen Sachverhalt als Einzelperson oder im Team vorzustellen. Das sollte man verständlich und gut strukturiert tun und dazu die geeigneten Medien wählen. Beim Thema Moderation kommt es darauf an, Kommunikation in einer Gruppe zielbezogen und ergebnisorientiert zu organisieren, zu unterstützen und dabei selbst eher neutral zu bleiben. In der Verhandlung schließlich geht es darum, dass mindestens zwei Parteien auf Augenhöhe unterschiedliche, vielleicht sogar gegenläufige Interessen verfolgen. Hier steht im Mittelpunkt, zufriedenstellende Lösungen zu finden, wo sich beide Seiten treffen. Für Architekt*innen haben Verhandlungen eine große Bedeutung. Faire Lösungen sind am Ende eine gute Voraussetzung für die nächste Kooperation, die ganz bestimmt kommt.

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Wie würden Sie das Lernziel beschreiben?

AM

Mir ist es ein Anliegen, dass Studierende mit allen drei Anwendungsfeldern im Studium und später im Beruf souverän umgehen können. Sie brauchen kommunikative Kompetenzen und Methodenkenntnisse, um nicht nur das eigentliche Werk, die Architektur, sondern auch die Kommunikation zum Werk professionell gestalten zu können. Kommunikationsfächer sind sowohl im Bachelor als auch in unseren Masterstudiengängen curricular verankert. Jeder, der in Bochum Architektur studiert, setzt sich mit dem Thema Kommunikation auseinander. Das ist eines der Qualitätsmerkmale der Bochumer Ausbildung.

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Welche Relevanz hat Kommunikation im Beruf von Architekt*innen?

AM

Im Architekturberuf hat Kommunikation eine hohe Relevanz. Wie ausgeprägt, hängt sicher damit zusammen, in welcher Funktion und in welcher Verantwortung man arbeitet. Kommunikation ist für Architekt*innen und Stadtplaner*innen eine wichtige Kompetenz. Denn Architekt*innen haben viele Gesprächspartner und wollen mit vielen Gesprächspartnerinnen
Verständigung und Einigung erzielen. Mein Anliegen ist es, dass Studierende ein Gespür für die Grundlagen guter Verständigung entwickeln. Architektur kommuniziert selbst, aber sie erklärt sich nicht selbst. Also müssen wir etwas dafür tun, dass Architektur richtig verstanden wird. Sie ist nicht selbsterklärend, vor allen Dingen nicht im Planungsstadium.

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Von welchen Erfolgen oder Ergebnissen können Sie berichten, wenn Sie auf all die Jahre zurückblicken, in denen Sie in der Architekturlehre tätig sind?

AM

Zu meiner großen Freude sind die Studierenden sehr engagiert bei der Sache. Was wir theoretisch erarbeiten, muss stets auf die Praxis übertragen werden. Die Auf­gaben sind in meiner Lehre immer Transferaufgaben. Ich stelle fest, dass Studierende das Gelernte auf verschiedene Praxissituationen übertragen können. Das wird nicht nur in den Modulen, sondern auch am Ende des Studiums im Bachelor- und Master-Kolloquium sichtbar. Studierende haben Methoden für die Kom­munikation gelernt und Sicherheit entwickelt, diese anzuwenden. Das ist psychologisch eine sehr wichtige Voraussetzung: Vertrauen zu haben, dass man das Erlernte anwenden kann. Damit ist der Grundstein für die Umsetzung in Beruf und Praxis gelegt. Das sehe ich als Ergebnis und als Erfolg unserer Arbeit.

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Die Lehre ist ein ständiger Veränderungsprozess. Besonders die Zeiten der digi­talen Transformation bringen neue Perspektiven in die etablierten Lehrstrukturen. Frau Mohnert, Sie haben es in Ihren Seminaren besonders gut geschafft, die Studierenden im digitalen Raum einzubeziehen und persönlich anzusprechen. Wie haben Sie Ihre Lehre verändert, damit dies gelingt?

AM

Das Fach Kommunikation funktioniert nicht ohne Aktivität und Austausch. Der Einsatz aktivierender Methoden ist daher grundsätzlich von Bedeutung. Das hat etwas mit dem Lernen als solchem und eben mit dem Inhalt zu tun. Das, worum es geht, wird in meinen Lehrveranstaltungen direkt angewendet. Wir hätten also in Präsenz in ähnlicher Weise gearbeitet. Als nun klar war, dass wir auf Distanz lehren und lernen müssen, habe ich unsere Konferenzsysteme studiert und dann Aufgaben und Formate entwickelt, die für uns zielführend sind. Es freut mich, dass Sie diese Arbeitsweise zu schätzen wissen.

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Mit der Verfügbarkeit digitaler Technologien erleben wir eine inflationäre Verbreitung von Filmen, Videos und Bildern im Internet. Frau Mohnert, wie glauben Sie, verändert diese Medienflut unsere Wahrnehmung für Architektur?

AM

Sie sprechen von Medienflut. Das klingt nach „zu viel“. Ich glaube, dass die Zugänglichkeit von Bildern und Plänen, die Angebote, Räume virtuell zu erleben, neue Chancen bieten. Wenn es Möglichkeiten gibt, auf einfache Weise darauf zuzugreifen, halte ich das für vorteilhaft. Natürlich ist das Angebot sehr groß und natürlich hat das Folgen. Ich gehe davon aus, dass damit generell steigende Anforderungen an Architekturschaffende verbunden sind, was professionelle Medienangebote betrifft. Die Erwartungen werden weiter wachsen, dass komplexe Inhalte und Aussagen relativ leicht erfassbar über Medien zur Verfügung gestellt werden. Das wird jedoch nicht immer gelingen. Komplexität lässt sich nicht beliebig reduzieren. Auch ist zu beobachten, dass Bilder oder Filme oft durch emotionale Botschaften ansprechen, die in anderer, sachlicherer Darstellung nicht enthalten sind. Es kommt darauf an, den richtigen Weg in den Medien und insbesondere in der Bilderwelt zu finden, um Erwartungen adressieren zu können, aber gleichzeitig unsere Anliegen nicht aus den Augen zu verlieren: die Vermittlung der jeweiligen Qualitäten und dass es manchmal Zeit und Aufmerksamkeit braucht, um ein tiefergehendes Verständnis zu erreichen.

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Welche Perspektiven können Sie als Psychologin angehenden Architekt*innen in der Kommunikation eröffnen?

AM

Architekt*innen haben eine bedeutungsvolle Aufgabe in der Gesellschaft. Sie gestalten die Umwelt. Psychologie ist die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben. Und sie belegt, auf welche Weise die gebaute Umwelt unser Verhalten und Erleben prägt. Weltweit haben wir hochrelevante Fragen zum Umgang mit Umwelt und Ressourcen zu lösen. Ich finde es sehr wichtig, wenn Architekt*innen planen und gestalten, dass sie sich dieser gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind, dass sie sich damit auseinandersetzen, dass sie gut informiert sind, dass sie ihre Entscheidungen auch in dieser Hinsicht begründen und die Potenziale, die sie haben, nutzen. Fallweise werden Architekt*innen bei diesen großen Themen aktiv mitdiskutieren. In jedem Fall aber muss man sich mit dem Diskurs auseinander­setzen und die Erkenntnisse in der eigenen Arbeit berücksichtigen. Im Studium und mit Blick auf die Berufssituation ist es mir daher wichtig, dass Architek­t*innen sich den Horizont für diese Themen immer freihalten. Es geht nicht „nur“ um das Planen und Gestalten. Es gehört zu ihrem Beruf, gesellschaftliche Themen verantwortungsvoll aufzugreifen.

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Herr Krause, Sie sind Professor und Leiter des Masterstudiengangs Architektur Media Management an der Hochschule Bochum, eine Besonderheit in der deutschen Hochschullandschaft. Welchen Stellenwert haben Architekturkommunikation und Architekturvermittlung in diesem Studiengang?

JK

Unser Masterstudiengang heißt Architektur Media Management. Diese drei Begriffe sagen genau, worum es geht. Es geht um Medienkompetenz, das heißt journalis­tische, verbale und visuelle Ausdrucksmöglichkeiten. Und es geht um Managementkompetenz, um die Kommunikation nicht nur technisch zu beherrschen, sondern auch mit echten Kommunikationsstrategien zu hinterlegen. Vor allen Dingen geht es aber um einen inhaltlichen Gegenstand: das ist die Architektur. Alles, was wir an Kommunikationstechniken entwickeln, von Videopublizistik über Social Media Marketing bis Ausstellungsdesign, ist der Architektur gewidmet.

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Das hört sich nach einem wichtigen Baustein an, aber an den 72 Architekturhochschulen in Deutschland spielt nach wie vor Architekturvermittlung eine eher untergeordnete Rolle. Warum glauben Sie, findet dieses Themenfeld in der Architekturlehre insgesamt so wenig statt?

JK

Mich wundert auch, dass es in diesen 19 erfolgreichen Jahren, die wir jetzt hinter uns haben, keine Nachahmer gegeben hat, die das Thema ähnlich in das Architekturstudium integrieren. Ich glaube, es ist schwierig, neue Themen in diesem stark verkürzten Architekturstudium zu etablieren. An den meisten Hochschulen dauert das Architekturstudium nur sechs Semester. In diesem Zeitrahmen sollen Architekt*innen vor allem konzeptionelles Denken, Architekturgeschichte oder baukonstruktive Grundlagen lernen und sich in erster Linie im Entwurf üben. Dafür sind sechs Semester viel zu kurz. Wenn man ein neues Fach in dieses Curriculum aufnehmen will, muss ein anderes Thema weichen. Blickt man auf die komprimierten Bachelorstudiengänge, fällt es schwer, zu entscheiden, auf welches Fach man verzichten könnte, um dem Fach Kommunikation Raum zu geben. Ich glaube, es ist ein fast unauflösbares Dilemma, obwohl es an einigen Hochschulen gute Ansätze gibt, Kommunikation zum Thema zu machen. Manchmal ist es ein Wahlfach oder ein begleitendes Thema. Ich kenne keinen Studiengang, wo es, wie bei uns, im Masterstudiengang AMM, ein Schwerpunktthema ist.

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Wenn ich Sie richtig verstehe, lässt es sich nur schwer in den Zeitrahmen des Bachelors integrieren oder sehen Sie Möglichkeiten, das Thema in die übrigen Fächer einzubeziehen?

JK

Genau das wäre der richtige Weg: Kommunikation ist Bestandteil jeder Entwurfsarbeit, jeder baukonstruktiven Präsentation, jeder bauphysikalischen Debatte. Im Studium werden Kommunikationsfähigkeiten entwickelt und trainiert. Allerdings passiert das weitgehend ohne Anleitung. Wir lernen im Architekturstudium eine neue Sprache, eine fachliche Ausdrucksweise. Architekt*innen können sich nach sechs, acht oder zehn Semestern hervorragend untereinander verständigen und verbinden mit bestimmten Begrifflichkeiten den gleichen Inhalt. Die Über­setzung gegenüber Fachfremden bleibt aber auf der Strecke. Wenn man nach dem Architekturstudium in die echte Welt entlassen wird und mit Auftraggeber*innen, Fachplaner*innen anderer Disziplinen oder Handwerker*innen spricht, gibt es häufig ein böses Erwachen. Deshalb ist die Befähigung zur Kommunikation in unserem Masterstudiengang so wichtig.

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Wir sehen also, es gibt Handlungsbedarf. Wie sieht für die Absolvent*innen das konkrete Berufsfeld aus und wie hat sich die Perspektive seit 2002 verändert?

JK

Die Berufsperspektiven sind erfreulich gut und das seit 19 Jahren. Die kommuni­kative Befähigung ist für Architekt*innen von wachsender Bedeutung. Etwa 40 Prozent unserer Absolvent*innen nutzen diese Kommunikationskompetenzen, um sich als Architekt*in besser zu positionieren, besser auszudrücken, ihre Ideen besser zu vermitteln. Sie arbeiten weiter als das, was sie im Kernstudium studiert haben – als Architekt*in. Die anderen 60 Prozent der Absolvent*innen unseres Masterstudiengangs finden ihre Berufung in der Kommunikation. Sei es in Kom­munikationsabteilungen von Architekturbüros, in baukulturellen Institutionen, Architektenkammern, Verbänden, dem Deutschen Architekturmuseum oder in Architekturgalerien. Manche gehen in die Bauwirtschaft, also zu denjenigen, 
die Architekten erreichen wollen. Einige spezialisieren sich als Architekturfotograf*innen, Redakteur*innen oder Mediendesigner*innen.

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Es geht also nicht direkt um eine Richtungsentscheidung? Wenn ich mich für den Masterstudiengang Architektur Media Management entscheide, habe ich danach noch die Möglichkeit, mich in die diversen Fachrichtungen weiterzuentwickeln?

JK

Ich glaube, jede Studienentscheidung und jede Berufsentscheidung ist eine Richtungsentscheidung, in dem Sinne, dass es eine bewusste Entscheidung ist. Es ist aber ganz sicher keine Einbahnstraße. Viele Studierende, die das Architekturstudium beginnen, wissen im 1. Semester nicht, wo sie nach zehn Semestern landen. Ob als Denkmalpfleger*in, als Spezialist*in für Krankenhäuser, für Schulbau oder als Generalist*in. Genauso ist dieser Masterstudiengang ein Stu­dium mit offenem Ausgang. Das soll nicht verunsichern. Im Gegenteil, man kann in diesem Masterstudium in einem Jahr sehr viel Orientierung gewinnen. Durch die Begegnungen mit der Praxis, die wir bieten, kann man viele Berufe kennenlernen, die 
am Ende stehen könnten. Mit dem Eintritt in den Beruf trifft man dann eine gewisse Richtungsentscheidung für die weitere Spezialisierung. Ob als planender und kommunizierender oder nur als kommunizierender Architekt. Aber diese Entscheidung ist nicht mit Antritt des Studiums getroffen, sondern eher mit dem Abschluss und der Frage, was mache ich dann daraus.

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Wenn wir ein paar Jahre in die Zukunft schauen, wie sind die Perspektiven für die zukünftigen Architekturmediamanager?

JK

Marc Twain hat einmal gesagt: „Es ist schwierig Prognosen zu geben, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen“ und so geht es mir auch mit dieser Frage. Wir haben eine wachsende Zahl von Jobangeboten für diese Doppelqualifikation aus Architektur und Kommunikationsmanagement. Es gibt ebenfalls eine wachsende Anzahl von Studieninteressierten, auch hier wird der Bedarf offenbar gespürt. Abgesehen von den Zahlen ist ganz klar erkennbar: Das Werk spricht längst nicht mehr für sich. Architekt*innen müssen und dürfen sich als öffentlich handelnde Menschen auch öffentlich äußern, denn sie sind zum einen Treuhänder*in des Bauherrn und gleichzeitig auch Anwalt der Gesellschaft. Die zweite Seite, nämlich Anwalt der Gesellschaft und somit Interessenvertreter künftiger gesellschaftlicher Entwicklungen zu sein, ist eine wichtige Aufgabe. Hier wird in Zukunft auf unterschied­lichsten Ebenen so viel zu kommunizieren sein, dass ich große Perspektiven für Absolvent*innen dieses Masterstudiengangs sehe.

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Das scheinen ja positive Zukunftsaussichten zu sein. Herr Pfingsten – Sie sind Honorarprofessor an der Hochschule Bochum und lehren im Masterstudiengang Architektur Media Management seit Beginn im Jahr 2002. Als Medienwissenschaftler kommen Sie, wie Frau Mohnert aus einem anderen Fachgebiet. Daher auch an Sie die Frage: Wie nehmen Sie die besondere Art der Kommunikation von Architekten wahr?

CP

Früher definierten sich Architekt*innen insbesondere über ihre Bauwerke und Entwürfe. Heute hingegen präsentieren sie sich vermehrt über die Darstellung, Erläuterungen, Veröffentlichungen und Vermarktung ihrer Projekte, ihrer Leistungen und ihrer Haltung. Ein recht neuer und vor allen Dingen konkreter Drang zu öffentlicher Kommunikation ist dabei durchaus spürbar.

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Architektur wird maßgeblich über Bilder kommuniziert – sei es durch Grafiken, Visualisierungen, Zeichnungen, Fotografien oder Videos. Sie lehren neben Mediengeschichte auch das Fach Videopublizistik. Welche Qualitäten lassen sich über bewegte Bilder vermitteln, die uns bei stehenden Bildern verborgen bleiben?

CP

Fotografien und andere statische Bildträger werden stillstehend wahrgenommen. Film definiert sich über die Aufzeichnung von Einzelbildern in einem Filmstreifen, projizierbar durch entsprechende Projektoren auf eine Oberfläche, um so die Illusion einer Bewegung zu erzeugen. Auf der Grundlage dieser Illusion und den zusätzlichen Möglichkeiten der Inszenierung sind Filmbilder dazu in der Lage, die reale Welt und hier speziell die Architektur deutlich weitreichender als Standbilder zu interpretieren. Mit den Kategorien Ausschnitt, Perspektive und Zeit wird das architektonische Objekt durch den Film zum Wirklichkeitsdestillat reduziert.

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Wenn Sie uns einen Architekturfilm empfehlen sollten, welcher wäre das?

CP

Das wären eindeutig Filme aus der klassischen Stummfilmzeit, wie zum Beispiel Walter Ruttmanns: „Berlin – die Symphonie der Großstadt“ aus dem Jahre 1927. In diesem Dokumentarfilm gibt es keinen wirklichen Handlungsstrang, sondern es wird der Tagesablauf im Berlin der 1920er Jahre gezeigt. Sorgfältige Kameraarbeit mit grafisch kalkulierten Einstellungen, Bilder von Fabriken, Straßen, Schaufensterdekorationen, Cafés, Achterbahnen, Menschenmassen und die musikalische Struktur dieser Stadtsymphonie machen den Film zu einem wichtigen dekorlosen, jedoch nicht abstrakten Film. Ein Klassiker, der auch an Filmhochschulen immer wieder den Ausgangspunkt neuer Aufgaben bildete. Im Masterstudiengang AMM sind wir ähnlich vorgegangen: Erst nach eingehender Interpretation und Bezugnahme auf eigene Lebenssituationen und -umgebungen begannen wir mit der Planung und Umsetzung eines eigenen, auf den Klassiker bezogenen Filmprojekts. Darüber hinaus gibt es natürlich andere Filme dieser Zeit, wie „Das Kabinett des Dr. Caligari“, wo Architektur vor allen Dingen durch Innenarchitektur, also durch die Darstellung von Räumen in der dem Expressionismus eigenen Weise dargestellt werden. Natürlich sind an dieser Stelle auch Filme der neuen Sachlichkeit zu nennen. In Fritz Langs „Metropolis“ aus dem Jahre 1928 wird die Großstadt mit damals neuartigen Effekten, wie zum Beispiel den Spiegelmontagen des Architekten Eugen Schüfftans, thematisiert. Architekturfilme beschränken sich allerdings nicht nur auf die 1920er Jahre. Es gibt in jeder Epoche und in jeder Zeit Filme, die für Architekt*innen von besonderer Bedeutung sind. Viele dieser Filme werden im Masterstudiengang AMM thematisiert und analysiert.

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Architekturwahrnehmung ist immer auch beeinflusst durch die Bewegung im Raum. Wie können wir den Film einsetzen, um den Blick auf Architektur zu lenken?

CP

Architektur heißt Raum zu schaffen, beziehungsweise Raum zu gestalten. Architektonisches Filmen bedeutet für uns, den Raum auf eine bestimmte Weise abzubilden, ihn aufzubrechen, zu interpretieren und schließlich wieder neu zusammenzusetzen. Beide Disziplinen sind raumbildend, ob real oder irreal, ob durch Konstruktion oder Destruktion. Die Kombination der Medien Architektur und Film schafft nicht nur neue Ausdrucksmittel, sondern auch die Möglichkeit, mit der Wahrnehmung der Räume zu experimentieren. Film ist ein Raum der Bewegung und ein Raum in Bewegung. An dieser Schnittstelle visueller Wahrnehmungen öffnen sich uns vielfältige neue Handlungsfelder mit unterschiedlichen Ausprägungen und Stilmitteln. Der Stellenwert der Architektur im Film wird in den 1920er Jahren neu definiert. Architektur ist nun nicht mehr nur Hintergrund, sondern wird zum Träger von Emotionen. Kulisse und realer Filmraum verschmelzen und schaffen einen völlig neuen Filmraum. Gleichzeitig wird auch die Kritik an der übermäßigen Inszenierung und Dekoration des Raumes lauter und man fordert eine realistische Aus­einandersetzung mit der Definition und Verwendung von Räumen. Nicht mehr das Szenenbild ist für die Schaffung des filmischen Raumes verantwortlich, sondern die Kamera wird zum Mittler zwischen Raum und Betrachter. Die Idealisierung des Raumes wird durch ein reales Abbild mit dokumentarischem Charakter abgelöst. Auch in unseren AMM-Filmen befassen wir uns mit der Wahrnehmung, Interpreta­tion und Kategorisierung von filmischen Räumen und Raumempfindungen. So wird klar, warum wir uns mit Architekturfilmen beschäftigen.

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Kamera- und Filmtechnik haben sich in den vergangenen 20 Jahren erheblich ver­ändert. Wie werden die neuen Technologien von den Studierenden bei Ihren Filmprojekten genutzt und welche Entwicklung erwarten Sie?

CP

Als wir 2007 mit Videopublizistik anfingen, haben wir noch mit Kameras gearbeitet, die wir entweder aus dem Technikpool der Hochschule oder aus privaten Möglichkeiten bezogen. Das waren spezielle, teils sehr kostenaufwändige Geräte. Heute ist dies zum Glück nicht mehr nötig. Überwiegend benutzen wir videofähige Spiegelreflexkameras, womit man ganz hervorragend arbeiten kann. Heute gibt es bereits Kinofilme, die mit dieser Technik erstellt worden sind. Noch einfacher allerdings ist die Verwendung von Smartphones. Auch hier gibt es berühmte Beispiele von Produktionen professioneller Art, die alleine mit Smartphones ihre Filme produziert haben. Zusätzliche Technik, wie zum Beispiel Rigs ermöglichen eine wackel­freie Bewegung und lassen fließende Übergänge entstehen.

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Neue Technologien erfordern eine neue Lehre. Herr Pfingsten, wir erleben derzeit eine inflationäre Verbreitung von Filmen und Fotos im Internet. Wie erkennen und finden wir in dieser Flut noch Qualitäten?

CP

Die Verbreitung von Filmen und Fotos im Internet ist zu einem großen Thema geworden. Die sozialen Medien sind ein großes Aufgabenfeld und so auch die Ent­stehung von falschen Bildern. Mein Rat ist: Wenn ich die inhaltliche Qualität dieser Medien beurteilen möchte, dann suche ich nach Bildnachweisen und schaue, wo die Bilder herkommen. Dadurch, dass mittlerweile Millionen Bilder auf dem Markt sind, die auf den ersten Blick alle ästhetisch passabel aussehen, fällt die Trennung von Spreu und Weizen schwer.

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Da scheint sich ein großer Wandel zu vollziehen. Auch Lehre ist ein ständiger Veränderungsprozess. Besonders in Zeiten der digitalen Transformation bringen neue Perspektiven Bewegung in die etablierten Lehrstrukturen. Professor Krause, was meinen Sie, als Leiter des Masterstudiengangs AMM, muss sich in der Lehre in den nächsten Jahren verändern?

JK

Ich glaube die vergangenen Monate haben gezeigt, welches Potenzial wir in der Lehre noch haben. Was ich als neue Qualität kennengelernt habe ist, dass wir aus unterschiedlichen Regionen Leute an unserem Studium beteiligen können, auch wenn Sie nicht vor Ort sein können. Wir haben aktuell einen Studierenden, der von Indonesien aus diesen Master studiert und ganz selbstverständlich zu den Seminarzeiten im digitalen Raum präsent ist. Ich bin beeindruckt, wie gut die Zusammen­arbeit unter den Studierenden über diese Entfernung hinweg funktioniert. Das ist eine gute Erfahrung und eine neue Qualität, die wir auf jeden Fall aufrechterhalten und weiterentwickeln wollen. Eine andere Möglichkeit ist, dass wir auf viel ein­fachere Weise Gäste in die Seminare integrieren können. Wir können Grafiker oder Marketingleute für eine Stunde in das Seminar einladen und können damit das Studium erheblich praxisnäher gestalten. Wenn uns die Lehre richtig gut gelingt, dann muss sie der Praxis immer einen Schritt voraus sein. Die Masterthesen sollen zu kleinen Forschungsarbeiten werden, in denen die Studierenden Grenzen überschreiten und das Machbare mit dem Denkbaren verbinden. Meine Zukunfts­vorstellung von Lehre ist: Die Praxis richtig gut zu verstehen und gut vorbereitet 
zu sein, um mit Neugier und Befähigung die Zukunft mitzugestalten.

 

Jan R. Krause ist Professor für Architektur Media Management am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur office for architectural thinking und der Personalberatung ofat-recruiting in Berlin.

 

Andrea Mohnert, Diplompsychologin, lehrt als Professorin am Fachbereich Architektur „Kommunikation in der Architektur“ und im Masterstudiengang Architektur Media Management das Modul „Zielgruppenorientierte Kommunikation“. Außerdem betreut sie die Masterthesen. Sie ist Vizepräsidentin der Hochschule Bochum für Diversität, Weiterbildung und Alumni-Management.

 

Claus Pfingsten ist Honorar-Professor für Mediengeschichte und Videopublizistik am Fachbereich Architektur der Hochschule Bochum und Kurator kultur- und kunstwissenschaftlicher Ausstellungen sowie Publizist wissenschaftlicher Abhandlungen zu Themen der Kunst-, Kultur- und Medien­geschichte.

 

Das Gespräch führten Anna Bräutigam, Iman Okla, Ayat Raouf und Kristina Schröder.

  • Die Wiederentdeckung der Nähe: Architektur-Exkursion über den eigenen Schreibtisch im Provisorium
    Astrid Bornheim Architektur, Berlin (Photo: Kay Fingerle)
  • Die Wiederentdeckung der Nähe: Architektur-Exkursion über den eigenen Schreibtisch im Provisorium
    Astrid Bornheim Architektur, Berlin (Photo: Kay Fingerle)
  • Ausstellung d.fragmentation in der BDA Galerie Berlin. Astrid Bornheim